Die kalte Legende
schien es genauso zu ergehen, denn er biss sich irritiert auf die Wange.
Stella wiederholte mit Nachdruck: » Wo sollen wir denn in Russland einen Handkoffer auftreiben? Das ist die Pointe, Herrgott nochmal! Ist in Israel Lachen verboten?«
»Asher ist das Lachen schon vor langer Zeit vergangen, genau wie seinen Kollegen bei der CIA und beim KGB«, sagte Martin. »Das sind alles Opportunisten, die sich mit den Fingerspitzen an einer Welt festklammern, die sie nicht mehr begreifen. Wenn sie sich lange genug festhalten können, haben sie die Pension durch und züchten bis ans Ende ihrer Tage Bohnen im Garten ihres Reihenhauses. Die vorherrschende Emotion ist bei ihnen Nostalgie. Die seltenen Male, dass sie sich wirklich entspannen, fangen sie alle ihre Sätze an mit: ›Wisst ihr noch, wie wir …‹ Hab ich Recht, Asher?«
Asher schien bei Martins kleiner Rede zusammenzuzucken. »Also schön«, sagte er an Stella gewandt, »gehen wir erst mal davon aus, dass Ihre Geschichte stimmt, dass Sie tatsächlich für die Unterabteilung Marx lausige antisowjetische Witze in Umlauf gebracht haben, damit das Land Dampf ablassen konnte. Aber Sie und Dante sind doch sicher nicht ins Heilige Land gekommen, um Witze zu erzählen?«
»Wir sind Touristen«, sagte Martin mit ausdrucksloser Stimme.
»Ja genau. Touristen«, stimmte Stella enthusiastisch zu. Sie nahm den Becher Tee, tauchte ihren kleinen Finger hinein und befeuchtete sich mit der Fingerkuppe die Lippen. »Wir wollen den Tempelberg besichtigen, Masada am Toten Meer, die Grabeskirche …« Ihre Stimme verlor sich.
»Haben Sie auch vor, zwischendurch Ihre Schwester in der Siedlung im Westjordanland zu besuchen?«
Stella warf Martin einen Blick zu, schaute dann wieder Asher an.
»Ja, natürlich, das auch.«
»Und in welcher Eigenschaft begleitet Dante Sie?«
Stella hob das Kinn. »Ich kenne ihn unter dem Namen Martin. Er ist mein Liebhaber.«
Der Israeli beäugte Martin. »Dann könnten Sie doch bestimmt ihren Körper beschreiben, wenn Sie müssten.«
»Kein Problem. Bis zu der verblassten Tätowierung eines sibirischen Nachtfalters unter ihrer rechten Brust.«
Aus den Augenwinkeln sah Martin, wie Stella anfing, die oberen Knöpfe ihrer Bluse zu öffnen. Wieder keine Spur von Unterwäsche, nur ein Dreieck blasser Haut. Asher räusperte sich verlegen. »Das, ähm, ist nicht erforderlich, Miss Kastner. Ich habe Grund zu der Annahme, dass Dante als Privatdetektiv arbeitet und Sie ihn engagiert haben. Was Sie nach Feierabend machen, ist Ihre Sache.« Asher sah Martin an. »Das also wird aus Spionen, wenn sie aus der Kälte kommen – sie verwandeln sich in Privatdetektive. Ist auf jeden Fall besser, als Bohnen zu züchten. Eins würde mich interessieren, Dante: Wie wird man eigentlich Privatdetektiv?«
»Man sieht sich alte Krimis an.«
»Er ist ein großer Fan von Humphrey Bogart«, bestätigte Stella, ohne Martin anzuschauen.
Asher betrachtete sie eine Weile, während sie ihren Tee trank. Als er wieder das Wort ergriff, hatte sich seine Stimmung verändert. Auf Martin machte er jetzt eher den Eindruck eines Bestatters als eines Polizeibeamten. »Ich muss Ihnen leider eine traurige Mitteilung machen, Miss Kastner«, begann Asher. Er rutschte vom Hocker und ging zu einem Tisch, auf dem ein dicker Aktenstapel lag. Er schlug die oberste Akte auf. »Es ist mir sehr unangenehm, aber die amerikanische Botschaft in Tel Aviv hat uns folgende Nachricht des Außenministerium zukommen lassen. Ich zitiere: ›Bitte setzen Sie Estelle Kastner davon in Kenntnis, dass ihr Vater, Oskar Alexandrowitsch Kastner, vor fünf Tagen in seinem Haus in Brooklyn einen Herzinfarkt erlitten hat.‹«
Stellas Augen verengten sich ängstlich. »Oh Gott, ich muss Kastner sofort anrufen«, flüsterte sie.
Martin erkannte an Ashers Miene, dass der Anruf sich erübrigte. »Er ist tot, nicht wahr?«
»Leider ja«, sagte Asher zu Stella. Sein Blick fiel auf Martin. »Und Ihnen soll ich etwas von dem kleinen Vögelchen ausrichten, Dante. Auf dem Dach über Ihrem Billardsaal wurde eine junge Chinesin tot aufgefunden. Ihr Chef, dem das Chinarestaurant unten im Haus gehört, hat nach ihr gesucht, als sie nicht wieder zur Arbeit kam. Sie war von dem Schwarm aus einem Ihrer Bienenstöcke zu Tode gestochen worden. Grässliches Ende, finden Sie nicht auch?«
»Ja«, gab Martin grimmig zu. »Kann man wohl sagen.«
Aus Angst, der Fahrer oder einer der anderen Fahrgäste in dem Sammeltaxi, das sie
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