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Die kalte Legende

Die kalte Legende

Titel: Die kalte Legende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Littell
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den Hügel hoch zurück zur Siedlung rannten, wo Suchscheinwerfer mit ihren grellen Lichtkegeln über die ganze Gegend schweiften. Kurz darauf kamen aus dem Armeestützpunkt in der Nähe zwei israelische Jeeps und ein offener Laster voller Soldaten angebraust. Die Soldaten sprangen aus den Fahrzeugen und liefen geduckt die Hänge auf beiden Seiten der Straße hoch. Hinter der Zisterne ertönten kurze Stakkatosalven aus Automatikgewehren. Martin vermutete, dass der palästinensische Scharfschütze – vorausgesetzt, es war ein Palästinenser – sich aus dem Staub gemacht hatte und die Soldaten ins Dunkle schossen.
    Der Rabbi klopfte sich den Schmutz von seinem Schabbatanzug und kam zu Martin herüber. »Alles in Ordnung mit Ihnen?«, fragte er außer Atem.
    Martin nickte.
    »Das war knapp«, sagte Ben Zion, dessen Brust sich aufgeregt hob und senkte. »Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich denken, die haben auf Sie geschossen, Mr. Odum.«
    »Aber wieso sollten sie?«, fragte Martin arglos. »Ich bin nicht mal Jude. Ich bin bloß ein Besucher, der bald wieder nach Hause fährt, wo er sicher ist.«

1997: MARTIN ODUM TRIFFT EINEN WIEDERGEBORENEN OPPORTUNISTEN
    Benny Sapir hörte sich Martins Schilderung des Vorfalls in Hebron in Ruhe an. Als er schließlich das Wort ergriff, stellte er Fragen, die ihn als Profi auswiesen.
    »Woher wollen Sie wissen, dass da nicht bloß ein paar arabische Jungs Dampf abgelassen haben? So was passiert in der Gegend von Qiryat Arba doch dauernd.«
    »Wegen des Ablenkungsmanövers. Der Angriff war genau geplant. Zuerst kam der Autoreifen. Alle blickten nach rechts. Die beiden Polizisten und die bewaffneten Siedler rannten rechts den Hang hoch. In dem Moment fiel der erste Schuss. Und der kam von links.«
    »Wie viele Schüsse insgesamt?«
    »Zwei.«
    »Und beide sind neben Ihnen in die Straße eingeschlagen?«
    »Die Waffe hatte wohl einen Linksdrall. Der erste Schuss hat zirka einen Meter vor mir eingeschlagen. Dann hat der Schütze das Visier korrigiert und etwas höher gezielt. Der zweite Schuss saß genau da, wo ich gestanden hatte, und hätte mich voll in der Brust erwischt, wenn ich nicht hinter die Mauer in Deckung gesprungen wäre.«
    »Warum hat er es nicht noch einmal versucht?«
    »Genau deshalb glaube ich ja, dass er es auf mich abgesehen hatte. Als ich hinter der Mauer verschwunden war, lagen noch immer rund ein Dutzend Siedler flach auf dem Boden. Im Licht der Suchscheinwerfer von Qiryat Arba hätte er sie gut sehen müssen. Wenn er geschossen hätte, um Juden zu töten, dann hätte er jede Menge Ziele gehabt.«
    »Vielleicht haben das Licht und die Sirene ihn verscheucht.«
    »Die Soldaten haben ihn verscheucht. Aber das war fünf, vielleicht acht Minuten später.«
    » Beseder, okay. Also, warum sollte Sie jemand umbringen wollen, Dante?«
    »Der Ruhestand hat Ihre Sinne nicht stumpf werden lassen, Benny. Sie stellen die richtigen Fragen in der richtigen Reihenfolge. Wenn wir erst wissen, warum, kümmern wir uns um das Wer.«
    Nach seiner Rückkehr nach Jerusalem (Stella war bei ihrer Schwester in Qiryat Arba geblieben) hatte Martin von einer übel riechenden Telefonzelle aus die Vermittlung angerufen und um die Nummer eines Benny Sapir gebeten. Es gab fünf Teilnehmer mit dem Namen. Der zweite, der in einer Siedlung dreizehn Kilometer außerhalb von Jerusalem wohnte, erwies sich als besagter Benny Sapir, der Dante Pippen in Washington für den acht Jahre zurückliegenden Auftrag im Bekaa-Tal gebrieft hatte. Benny war eigentlich der Mossad-Experte für Russland und hatte damals einen Kollegen vertreten, der krank war. Als Benny, der im Jahr zuvor beim Mossad den Ruhestand eingereicht hatte, sich nun am Telefon meldete, klang er wie außer Atem. Er erkannte die Stimme am anderen Ende der Leitung auf Anhieb. »In meinem Alter kann ich mir zwar immer schlechter Gesichter und Namen merken, aber Stimmen vergesse ich nie«, sagte er. »Wenn ich ehrlich bin, Dante, ich hätte nie gedacht, dass sich unsere Wege nochmal kreuzen.« Bevor Martin etwas erwidern konnte, schlug Benny vor, ihn in einer halben Stunde vor dem Rashamu-Restaurant auf der Ha-Eshkol Street abzuholen.
    Auf die Minute pünktlich hielt ein funkelnagelneuer Skoda vor dem Restaurant. Der Fahrer, ein muskulöser Mann mit der Statur eines Ringers, hupte zweimal. Bennys Haar war ergraut, und sein einst berühmtes Lächeln war melancholisch geworden. Als Martin ihn das letzte Mal gesehen hatte, acht Jahre zuvor

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