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Die kalte Legende

Die kalte Legende

Titel: Die kalte Legende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Littell
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überflüssigwerden.«
    »Darauf trinke ich«, erklärte Martin.
    Martin blickte sich um, betrachtete die gerahmten Hockney-Drucke über dem Sofa, die Messing-Menora auf dem Sideboard, die drei großformatigen Fotos, alle schwarz umrahmt, von jungen Männern in Uniform an der Wand über dem Kamin. Benny sah, wo er hinschaute. »Die zwei links waren Freunde aus meiner Kindheit. Sie sind auf den Golanhöhen im Kampf gefallen, der eine siebenundsechzig, der andere dreiundsiebzig. Auf dem rechten Foto, das ist unser Sohn, Daniel. Er geriet vor anderthalb Jahren im Libanon in einen tödlichen Hinterhalt. In einem toten Hund am Straßenrand war eine Sprengladung versteckt, die gezündet wurde, als sein Jeep vorbeifuhr. Seine Mutter … meine Frau ist fünf Monate später vor Kummer gestorben.«
    Jetzt wurde Martin klar, woher der Schmerz rührte, mit dem zu leben Benny gelernt hatte, und warum er melancholisch geworden war. »Wie traurig«, war alles, was ihm einfiel.
    »Ja, das ist es.« Mehr brachte Benny nicht heraus.
    Beide konzentrierten sich auf ihre Drinks. Schließlich brach Benny das Schweigen. »Also, Dante, was führt Sie ins Heilige Land?«
    »Sie waren der Russland-Experte beim Mossad, Benny. Wer zum Teufel ist Samat Ugor-Shilow?«
    »Wieso interessieren Sie sich für ihn?«
    »Er ist aus Qiryat Arba abgehauen, ohne sich von seiner Frau scheiden zu lassen. Sie ist streng religiös. Ohne Scheidung kann sie nicht wieder heiraten. Ihre Schwester, die in Brooklyn lebt, hat mich beauftragt, Samat zu suchen und ihn dazu zu bringen, dass er sich scheiden lässt.«
    »Um zu verstehen, wer Samat ist, müssen Sie verstehen, woher er kommt.« Benny goss sich einen zweiten Whiskey ein. »Wie viel wissen Sie über die Auflösung der Sowjetunion?«
    »So viel, wie ich in den Zeitungen gelesen habe.«
    »Das ist schon mal ein Anfang. Die UdSSR, die wir kannten, ist 1991 implodiert. In den Jahren danach wurde aus dem Land eine, wie ich es nenne, Kleptokratie. Politische und wirtschaftliche Institutionen wurden vom organisierten Verbrechen infiltriert. Aber um sich eine Vorstellung von den Ereignissen zu machen, müssen Sie wissen, dass es Russlands Kriminelle waren, nicht seine Politiker, die den kommunistischen Überbau der früheren Sowjetunion auseinander genommen haben. Und damit wir uns nicht falsch verstehen, die russischen Kriminellen waren ein primitives Pack. Als in der Frühphase der Auflösung praktisch alles zu haben war, hat die italienische Mafia ein bisschen rumgeschnuppert, um zu sehen, ob sie ein Stück vom Kuchen abbekommen könnte. Sie können sich ein besseres Bild von der russischen Mafia machen, wenn Sie wissen, dass die Italiener sich nur kurz umgesehen und gleich wieder nach Hause gefahren sind. Die Russen waren ihnen einfach zu skrupellos.«
    Martin stieß einen leisen Pfiff aus. »Schwer zu glauben, dass jemand noch skrupelloser als die Cosa Nostra sein kann.«
    »Als die Sowjetunion zusammenbrach«, fuhr Benny fort, »bildeten sich Tausende von Banden. Am Anfang machten sie die üblichen krummen Geschäfte, boten den üblichen Schutz an –«
    »Was die Russen ›Dach‹ nennen.«
    »Ich sehe, Sie haben Ihre Hausaufgaben gemacht. ›Dach‹ heißt im Russischen krysha. Wenn zwei Banden ihren Kunden krysha anboten, dann kämpften nicht die Kunden miteinander, wenn sie Differenzen hatten, sondern die Banden. Anfang der Neunziger wurde der Krieg zunehmend auf der Straße ausgetragen. Das war die Phase der großen Moskauer Bandenkriege. Allein 1993 wurden an die dreißigtausend Menschen ermordet. Weitere dreißigtausend verschwanden einfach von der Bildfläche. Diejenigen Gangster, die cleverer waren als die anderen, kauften sich in legale Unternehmen ein. Das russische Innenministerium hat einmal eine Schätzung vorgelegt, danach unterhielten die Hälfte aller Privatfirmen und staatlichen Unternehmen und fast alle Banken im Land Verbindungen zum organisierten Verbrechen. Der berüchtigte Tsvetan Ugor-Shilow, seit einer Titelgeschichte im TIME Magazine bekannt unter dem Namen ›der Oligarch‹, hat als kleiner Ganove angefangen. Als er sich einmal in den Schlamassel geritten hatte und auch durch Bestechung da nicht wieder rauskam, landete er für acht Jahre in einem Gulag. Nach seiner Entlassung ist er in seine Heimat Armenien zurückgekehrt. Zu der Zeit war Gorbatschow schon am Ruder, und die Sowjetunion zerfiel. Ugor-Shilow, der in einer engen Wohnung in Eriwan hauste, fing von dort aus an, krysha

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