Die kalte Nacht des Hasses
Ortega.
»O ja. Ich habe Sie angerufen, weil ich dachte, Sie würden vielleicht wissen wollen, dass jemand ihn zusammengeschlagen, gefesselt, und dann seine Lippen abgeschnitten hat.«
»Oh, mein Gott. Wie bei den anderen beiden?«
»Ja. Ich muss ziemlich kurz nach der Tat aufgekreuzt sein. Er blutete wie Sau aus dem Mund und kam gerade zu sich. Ich hatte die Sanitäter in fünf Minuten vor Ort. Sie haben die Lippen gefunden, es ist kaum zu glauben, und die Ärzte haben sie wieder angenäht, aber er hat so viel Blut verloren, dass es ihm nicht sonderlich gut geht. Der Arzt hat gesagt, vielleicht könnte er etwas reden, wenn er wieder zu sich kommt, also dachte ich, Sie würden vielleicht herkommen und ihm ein paar Fragen stellen wollen.«
»Wo sind Sie?«
»Ich stehe in meinem Jeep vor Ihrem Hotel.«
»Ich bin gleich da.«
Ich klappte das Handy zu und sah Black an. »Jemand hat versucht, heute Nacht Vasquez zu ermorden, indem er ihm die Lippen abschnitt und ihn zurückließ, um zu verbluten. Vielleicht war das sogar dein Freund Felipe. So viel zu den Ehrenwörtern deines sogenannten Patenonkels.«
»Wenn José mir sagt, er würde ihn nicht umbringen, dann hatte er nichts damit zu tun. Er hat mich noch nie angelogen.«
»Ja, klar. Er ist ein echter Billy Graham, was? Egal, ich brauche jetzt weit mehr als dein Wort, um Rangos zu trauen.«
Ich nahm meine Handtasche und lief zur Tür.
»Wo willst du hin?«
»Ortega wartet draußen. Wir fahren ins Krankenhaus, mal sehen, ob Vasquez den Angreifer identifizieren kann.«
»Ich komme mit.«
»Bestimmt nicht. Und ich weiß nicht, wann ich zurück bin. Wenn du nach Hause fliegen musst, bitte. Ich kann einen regulären Flug aus Miami nehmen.«
»Ich warte.«
»Flieg zurück und kümmere dich um den Wettbewerb. Du musst nicht noch mehr in diese Carlos-Vasquez-Sache verwickelt werden, als du schon bist.«
»Ich habe mit Carlos nichts zu tun, abgesehen davon, vorhin neben dir gestanden zu haben. Und wie ich schon sagte, ich werde auf dich warten. Hier. Wir fliegen nach Hause, wenn du fertig bist.«
Dabei beließen wir es und ich knirschte frustriert mit den Zähnen, während ich mit dem Fahrstuhl nach unten fuhr. Rangos war natürlich meine erste Wahl als Verdächtiger, aber warum sollte er Vasquez die Lippen abschneiden lassen? Ich hatte keine Verbindung zwischen Rangos und Hilde finden können, abgesehen davon, dass sie mit Vasquez ausgegangen war, aber Vasquez hatte gesagt, sie hätten ihn nach ihr befragt. Oder vielleicht wollte irgendein anderes Gangstersyndikat sich irgendwie rächen? Die Rangos hatten diese kleine Ohrläppchen-Geschichte, vielleicht nahmen ihre Konkurrenten die Lippen. Trotzdem passte das alles nicht zusammen. Und warum brachte der Täter Carlos Vasquez nicht einfach um und hatte es hinter sich? Sie hatten ja auch die beiden anderen Opfer nicht am Leben gelassen, um den Angreifer preiszugeben. Ich hoffte bloß, dass Carlos nicht seinen Verletzungen erlag, bevor ich mit ihm sprechen konnte.
Vasquez war, als Ortega und ich das Krankenhaus erreichten, aus dem Aufwachraum raus und auf der Intensivstation. Der Chirurg traf sich mit uns in der Schwingtür zur Intensivstation und erteilte uns zögerlich die Erlaubnis, hineinzugehen und ein paar Fragen zu stellen, aber nur, wenn er persönlich dabei sein durfte. Wir folgten ihm hinein und gingen an mehreren verglasten Bereichen vorbei, in denen sehr kranke Patienten litten und stöhnten. Vasquez lag im Bett, angeschlossen an alle möglichen Bildschirme und Schläuche. Sie gaben ihm Blut. Ich dachte an Bud, und wie er ausgesehen hatte, als er fast draufgegangen war, an Harve in seinem Krankenhausbett, an eine Menge Leute, die es gerade eben geschafft hatten, und dann schob ich diese Gedanken aus meinem Kopf und konzentrierte mich auf die Aufgabe, die vor mir lag.
Carlos Vasquez war kein schöner Anblick. Der Chirurg hatte seine Lippen wieder angenäht, doch sie waren geschwollen und lila und sahen schrecklich aus. Aber er atmete. Das ist mehr als man von Hilde sagen konnte. Er war halb bei Bewusstsein und schwer auf Drogen, aber der Arzt sagte, er könnte mich verstehen, wenn ich mit ihm sprach. Er sagte, ich sollte Vasquez nicken oder mit dem Kopf schütteln lassen, statt zu reden. Ich beugte mich dicht an sein Gesicht und konnte das Desinfektionsmittel und seinen stinkigen Atem riechen. Sein zusammengeflickter Mund war mit einer glänzenden vaselineartigen Creme bedeckt.
»Carlos? Können Sie
Weitere Kostenlose Bücher