Die kalte Nacht des Hasses
Wäldchen auf beiden Seiten der Straße den Asphalt erhellte.
»Wir müssen nach Springfield.«
»Springfield!«, sagte ich. »Das ist eineinhalb Stunden von hier.«
»Dort wird er hingehen, früher oder später.«
Springfield war die drittgrößte Stadt in Missouri, mit etwa hundertfünfzigtausend Einwohnern. »Shaggy, wir fahren auf keinen Fall nach Springfield, wenn du uns nicht sagst, warum.«
Shaggy schien diese Vorstellung gar nicht zu gefallen.
»Okay, Bud, wende bitte, mir reicht dieser Mist. Meinetwegen kann er im Knast verrotten.«
Bud bremste und schaltete den Blinker ein.
Shaggy sagte: »Walter Costin ist mein Stiefbruder.«
»Scheiße.« Das war Bud, aber ich hatte dasselbe gedacht.
»Okay. Erzähl uns alles.«
»Mehr ist da nicht.«
»Shag, ich warne dich.«
»Er hat Hilde das angetan, sie so zugerichtet. Ich kann es nicht beweisen, aber ich weiß, dass er es war.«
»Warum ist er in Springfield?«
»Dort sind wir aufgewachsen. Am Stadtrand. Auf so einer Art Farm.«
Bud überließ mir die Führung des Gesprächs, dafür war ich ihm dankbar. Er nahm den Highway 5 gen Süden Richtung Lebanon und fuhr weiter, die Augen starr auf die Straße gerichtet, seine Finger umklammerten das Steuerrad, als wollte er es erwürgen.
»Warum sollte dein Stiefbruder Hilde verstümmeln und ermorden wollen?«
»Das weiß ich nicht. Ich weiß nur, dass er dazu fähig ist.«
»Warum? Hat er so etwas schon einmal getan?«
»Ich weiß nicht, was er alles getan hat. Wir sind ihm eine Weile entwischt, aber dann hat er uns wiedergefunden.«
Ich sagte: »Wer ist wir?«
Bud sagte: »Komm schon, Shaggy, jetzt pack endlich aus. Du hast uns schon von deiner Beziehung zu Costin erzählt. Warum beschützt du ihn?«
»Ich weiß nicht, vielleicht tu ich das, aber nicht aus dem Grund, den du denkst.«
»Dann sag’s mir.«
Shaggy wurde wütend. »Ich weiß es nicht. Er ist schlimm, wirklich schlimm, manchmal. Er lässt mich Dinge tun, die ich nicht tun will. Er macht mir Angst. Ihr solltet auch Angst vor ihm haben.«
Shaggy klang panisch. Bud schwieg wieder. Ich war dran.
»Sag mir, warum er dir Angst macht?«
»Was glaubst du, warum?«
»Hat er dir wehgetan?«
»Er tut allen möglichen Leuten weh. Das macht ihn an. So war es schon immer.«
»Willst du sagen, er hätte Menschen umgebracht und du weißt davon?«
»Mehr kann ich nicht sagen. Er wird mich umbringen. Er wird euch umbringen. Er wird Brianna umbringen. Er wird uns alle umbringen. Und er wird damit davonkommen. So ist das immer, immer, jedes einzelne Mal.«
»Wenn du uns zu ihm führst, damit wir ihn verhaften, wie kann er dich dann umbringen?«
»Er kann es einfach. Er ist klug. Er ist so klug, du wirst es nicht glauben. Er überlegt sich alles, er manipuliert alles und jeden. Für ihn ist alles nur ein Spiel. Er spielt gern Katz und Maus, legt Menschen rein, fängt sie in Fallen.«
»Niemand ist so klug.« Aber ehrlich gesagt, begann ich langsam doch etwas unruhig zu werden. »Wird er in diesem Haus am Rande Springfields sein? Will er uns vielleicht in eine Falle locken? Brauchen wir Verstärkung?«
»Vielleicht. Ich weiß nicht genau, wo er ist. Aber dorthin wird er zurückkehren. Er geht immer zurück nach Hause. Und dort sollen wir uns treffen, morgen früh, nachdem ich aus dem Gefängnis raus bin.«
»Hat er dort gewohnt?«
»Nein, ich habe vor ein paar Tagen nachgesehen. Es gehört uns immer noch, aber er hat in Florida gelebt. Er wusste nicht, wo ich war, bis er Hilde gefolgt ist und sie ihn direkt zu mir an den See geführt hat. Sie wusste nicht, dass er ihr folgte. Ich wusste nicht, dass er hier war, bis ich herausfand, dass er bei Lohman’s arbeitete, und da war es zu spät.«
»Warum Hilde, Shaggy? Was hat sie damit zu tun?«
»Schnappt ihn euch einfach und sperrt ihn ein, damit wir alle in Sicherheit sind.«
»Ich weiß, dass du mehr weißt, als du uns erzählst.«
»Okay, okay, es ist diese Sache mit dem Lächeln, das Zitat, das er bei ihr zurückgelassen hat. Ich habe es ihn tausendmal sagen hören. Deswegen glaube ich, er war es. Aber es beweist nichts.«
Was Shaggy erzählte, ergab nicht viel Sinn, und ich wusste genau, dass an dieser bizarren Geschichte noch mehr dran war. Er schien wahrhaftig Angst vor seinem Stiefbruder zu haben, falls Costin tatsächlich sein Stiefbruder war. Aber ich hatte das Gefühl, dass wir jetzt nicht viel mehr aus ihm herausbekommen würden.
»Waren Hilde und er ein Liebespaar? Ging es um
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