Die kalte Nacht des Hasses
begleiten und dann zurück ins Cedar Bend fahren müsste, und er zankte sich ein paar Minuten mit mir herum, denn er wollte bei mir bleiben, erklärte sich aber schließlich doch einverstanden. Ich wartete, bis die Kapelle leer war, dann nahm ich mir einen Raum voll rotgesichtiger, entgeisterter Bestattungsmitarbeiter vor und las ihnen die Leviten.
Ich begann mit dem Chef, Mr Lohman selbst. Bislang hatte er sich ziemlich affendumm gestellt: nichts gewusst, nichts gesehen, nichts gehört. Allerdings sah er so aus, als würde er gleich einen ernsthaften Nervenzusammenbruch bekommen, vermutlich weil ihm langsam klar wurde, was für ein Drama aus so einer Sache werden konnte. Seine Hände zitterten, als er ein Päckchen Marlboro und ein Bic-Feuerzeug aus der Innentasche seines Anzugs hervorzog. Er hielt sie bereit, zündete sich aber keine an, obwohl er das sicher gern gewollt hätte.
»Mr Lohman, bitte denken Sie nach und erklären Sie mir, wie das passiert sein kann. Ich gehe davon aus, Sie haben die Leiche vor der Trauerfeier nicht noch einmal überprüft?«
»Nein, Ma’am, nicht, wenn der Sarg geschlossen bleibt. Wir legen die Verschiedenen in den Sarg und verschließen ihn, nachdem wir sie vorbereitet haben.«
»Wann hat das letzte Mal jemand den Sarg geöffnet?«
»Wir haben die Vorbereitung gestern Morgen abgeschlossen. Dann haben wir den Sarg verschlossen, und heute haben wir ihn zur Trauerfeier geholt.«
»Wird das Gebäude nachts überwacht? Haben Sie einen Wachmann? Einen Nachtwächter?«
»Wir haben einen Nachtwächter. Ich habe ihn angerufen, direkt nachdem wir herausgefunden haben, dass Ms Swensens Leiche …« Er suchte nach dem richtigen Wort und fuhr fort: »… gestört wurde. Dort ist er, er sitzt auf dem grünen Stuhl neben der Tür. Er heißt Walter Costin.« Er winkte den Mann heran. Costin hatte uns bereits im Auge gehabt, als fürchtete er, dass ihm Ärger bevorstünde, und da lag er ja auch nicht falsch. Er erhob sich eilig und kam in unsere Richtung. Auch er sah nervös aus.
Walter Costin war um die dreißig, kleidete sich aber mehr wie ein Sechzehnjähriger. Er hatte dunkelbraunes, lockiges Haar, das ihm fast bis auf die Schultern reichte, und große, ausdrucksstarke Augen mit langen schwarzen Wimpern. Er war etwa einsachtzig groß und eher schlaksig, trug ein schwarzes T-Shirt, eine ausgefranste Jeans und ein großes silbernes Hakenkreuz an einer Kette um den Hals. O Mann, wie cool darf’s denn sein? Mir fiel auf, dass er zudem noch ein Hakenkreuz auf das rechte Handgelenk tätowiert hatte.
»Sind Sie Hitlerfan, Costin, oder wie?«
Er lächelte und wirkte plötzlich gar nicht mehr so besorgt. Er begann mit einer tiefen Grabesstimme zu sprechen, ähnlich wie Darth Vader, bloß redete Costin rasend schnell in abgehackten, überdeutlichen Worten. »Nein, Ma’am. Das …« – er zog das Hakenkreuz an der Kette hoch – »gab es lange, bevor die Nazis an die Macht kamen. In Wahrheit ist es fast dreitausend Jahre alt und war meist ein Symbol für das Gute. Man hat Münzen und Töpferwaren mit Hakenkreuzen darauf gefunden, die zurück ins alte Troja datieren, bis auf eintausend vor Christus, glaube ich.«
Okay, er hielt sich also für Indiana Jones. »Was Sie nicht sagen. Troja, wirklich? Das große Holzpferd und so weiter?«
»Genau, Ma’am. Die Bezeichnung für Hakenkreuz – swastika – kommt aus dem Sanskrit, von dem Wort su. Das heißt ›gut‹. Ganz schön ironisch, was?«
»Ja, ironisch. Haben Sie Geschichte studiert, oder wie?«
»Genau, Ma’am, das tue ich. Ich pendle rüber zur Missouri State in Springfield. Ich habe einen Abschluss in Alter Geschichte und bereite meine Doktorarbeit vor. Ich habe diesen Anhänger bei einer Ausgrabung letzten Sommer in der Türkei gefunden. Von der Uni gesponsert.«
»Achten Sie besser drauf, wo Sie das Ding tragen, Walter. Ein paar Leute sind immer noch empfindlich wegen der Sachen, für die es in den Vierzigern stand, und ich gehöre dazu.«
»Ja, Ma’am. Ich verstehe genau, was Sie sagen wollen. Und alle nennen mich Walt.« Breites Grinsen.
Walter war ein richtig netter Kerl und überhaupt nicht, wie ich mir einen Bestattungs-Nachtwächter vorgestellt hatte, nie im Leben hätte ich gedacht, dass ein solcher Typ sich auskannte mit den Trinkgefäßen und finanziellen Gewohnheiten Helena von Trojas.
»Wie lange arbeiten Sie schon hier?«
»Bloß ein paar Wochen. Ich wollte ein bisschen dazuverdienen für die nächste Ausgrabung.
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