Die kalte Nacht des Hasses
haben keinerlei Gesichtsrekonstruktion vorgenommen. Wir hatten auch überhaupt keine Lippen zur Verfügung, mit denen wir hätten arbeiten können. Ich weiß nicht, wie das geschehen konnte. Es ist unmöglich.«
Black sagte: »Heilige Maria.«
Ich fragte: »Wer könnte das gewesen sein?«
»Ich weiß es nicht«, sagte Mr Lohman. »Aber wer immer es war, wusste, was er tut. Sie haben keine Ahnung, wie schwierig es ist, einen Mund zu rekonstruieren, so dass er auch nur akzeptabel aussieht, vor allem, wenn die Lippen abgetrennt wurden. Deswegen empfehlen wir in solchen Fällen immer einen geschlossenen Sarg.«
»Also, ich will auf jeden Fall wissen, was zum Teufel hier los ist, und wer sich an der Leiche zu schaffen gemacht hat.«
»Ja, Ma’am. Bitte, ermitteln Sie das. Niemand hätte Zugriff auf die Leiche haben sollen, nicht ohne meine Erlaubnis.«
»Teilen Sie Ihren Mitarbeitern mit, dass ich mit ihnen sprechen möchte, sobald die Feierlichkeiten vorüber sind.«
Wir standen da, während zwei von Lohmans Angestellten Hildes Sarg in die Kapelle schoben, und Mr Lohman versicherte Black und mir erneut, dass er genauso entsetzt wie wir darüber sei, dass ein Phantom-Schönheitschirurg ein solches Wunder mit der Leiche zustande gebracht hatte. Unglaublich! Das Beerdigungsunternehmen befand sich seit fünfundsiebzig Jahren im Besitz seiner Familie und so etwas war noch nie geschehen. Er wusste ganz sicher, darauf bestand er, dass die Verstorbene sich am Abend zuvor, als der Sarg für die Trauerfeier zurechtgemacht worden war, ordnungsgemäß allein und ungestört darin befunden hätte. Gott sei ihm gnädig, so etwas wäre noch nie zuvor geschehen, wiederholte er, aber immerhin war es gute Arbeit, so war den Angehörigen großes Leid erspart geblieben, aber es hatte sich noch nie jemand an einem seiner Toten zu schaffen gemacht, niemals, also wirklich, Gott sei sein Zeuge. Na ja, dachte ich, etwas anderes wäre auch nicht besonders gut für sein Geschäft.
Black und ich kehrten auf unsere Plätze zurück und die Trauerfeier begann. Wir hörten eine Menge hübscher Mädchen hübsche Geschichten über das hübsche Mordopfer erzählen, und ein verstörter Friseur heulte laut in den hinteren Reihen, Mr Race natürlich. Als ich zu ihm hinüberschaute, bemerkte ich, dass ausgerechnet Corkie es war, die ihn beruhigte, ihr Haar war jetzt lang und dunkelrot. Brianna ging nicht nach vorn, um ihre Schwester zu würdigen, sondern tupfte nur ihre Tränen weg, die offensichtlich hinter dem dunklen Spitzenvorhang wie aus einem Wasserhahn quollen.
Ich sah zu Black und Jude und fragte mich, wie es möglich war, dass jemand sich an Hildes Leiche zu schaffen gemacht hatte, und dann auch noch so fachmännisch, ohne dass jemand es bemerkt hatte. Das war keine schlechte Leistung, und ich wollte wissen, wer dahintersteckte, und vor allem, warum. Der Täter wäre die logischste Erklärung dafür, wer vielleicht herumgeisterte und den Körper des Opfers wieder instand setzte – sieht doch ganz gut aus. Aber das ergab für mich wenig Sinn, eigentlich gar keinen. Warum sollte irgendein Verrückter Hilde Swensens Lippen erst abschneiden, während sie noch am Leben war, und sich dann einschleichen und sie wieder annähen, damit sie bei der Beerdigung hübsch aussah? Nur, wenn es nicht der Täter gewesen war, wer zum Teufel dann? Die ganze Geschichte war verrückt, aber ich würde es herausbekommen, und wenn es mich umbrachte.
Ich sah zu, wie Brianna aufstand und sich bei den Leuten, die an ihr vorbeigingen, bedankte, dass sie gekommen waren, um ihren Respekt zu erweisen. Zwei granitgesichtige Mitarbeiter des Beerdigungsunternehmens rollten den Sarg nach draußen zum wartenden Leichenwagen. Bud hatte endlich einen Augenblick Zeit und kam zu mir.
»Was ist los? Lohman ist kalkweiß.«
»Ja, und aus gutem Grund. Er sagt, seine Leute hätten die Lippen nicht wieder angenäht, und er weiß auch nicht, wer es gewesen sein könnte, oder warum.«
»Das verstehe ich nicht.«
»Ich auch nicht, deswegen werde ich auch hierbleiben und seine Leute vernehmen. Das Ganze hat einen Grund, so viel kannst du mir glauben.«
»Willst du etwa sagen, der Täter sei hier eingebrochen und hätte das getan?« Bud runzelte wieder die Stirn. »Warum sollte er?«
Ich zuckte mit den Achseln. »Geh du mit Brianna, sie braucht dich. Zumindest muss sie jetzt ihre Schwester nicht so in Erinnerung behalten wie wir.«
Ich sagte Black, dass er Jude auf den Friedhof
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