Die Kalte Sofie
auch.«
Dr. Falk blieb stumm. Doch ein Blick in ihre Schlangenaugen sprach Bände. Nein, diesem vollkommenen Wesen waren solche und andere Missgeschicke gänzlich unbekannt.
Sofie schluckte und schaute auf den Helm unter ihrem Arm.
»Professor Paungger hat mir erzählt, dass Sie hier dringend Verstärkung brauchen. Wenn Sie mir kurz zeigen, wo ich meinen Kram deponieren kann, leg ich gern gleich los.«
Dr. Falk löste sich eher widerwillig aus dem Türrahmen.
»Na schön. Ich hoffe, Sie legen bei der Arbeit mehr Geschick an den Tag. Wenn Sie mir folgen wollen …«
Sie stöckelte los – besser gesagt, sie balancierte auf flaschengrünen High Heels an den schmalen Füßen und näherte sich mit atemberaubendem Hüftschwung den metallenen Wandschränken am Ende des Gangs.
Missmutig zückte sie einen Schlüsselbund, öffnete einen der Spinde und zog einen grünen Kittel hervor.
»Hier. Der müsste Ihnen passen.«
Sofie warf einen stirnrunzelnden Blick auf das sackförmige Kleidungsstück. Bei einem Vogelscheuchenwettbewerb würde sie damit garantiert den ersten Preis absahnen. Der Kittel ihrer werten Kollegin saß hingegen wie maßgeschneiderte Haute Couture.
Dr. Falk übergab ihr den Schlüssel. Schnell verstaute Sofie Helm und Rucksack im Spind.
Mein Gott! Die Maus! Ihre reizende Kollegin würde Sofie in ihr Geheimnis nicht einweihen können, das war inzwischen klar. Nach dem ersten Rundgang würde sich aber hoffentlich eine Gelegenheit bieten, die kleine Leiche irgendwo heimlich zu kühlen, bis sie sie genauer begutachten konnte.
Inzwischen war Dr. Falk weitergeschwebt und deutete nun nachlässig auf einen Raum zu ihrer Linken.
»Das hier ist unsere Teeküche. Und hinter dieser Tür …«, sie deutete auf eine Doppeltür, »… befinden sich unsere Sektionsräume, Kühlräume und so weiter. Dürfte Ihnen ja alles bekannt sein.«
Sofie nickte. »Was ist mit dem Labor?«
Die Kollegin hob abschätzig die Brauen. »Tox, Histologie, DNA und so weiter sind in den oberen Stockwerken. Für Sie im Moment aber viel wichtiger ist dieser Raum hier.« Sie zückte einen weiteren Schlüssel und sperrte eine Tür zu ihrer Rechten auf. »Das ist in Zukunft Ihr Arbeitsplatz.«
Kritisch beäugte Sofie den winzigen Raum mit dem ebenso winzigen Seitenfenster, durch das sich ein schüchterner Sonnenstrahl verirrte und den Staub auf dem vorsintflutlichen PC zum Aufleuchten brachte. Was hatte sie auch erwartet? Die Gelder zur Finanzierung der Institute für Rechtsmedizin wurden bundesweit immer drastischer gekürzt. Das war in Berlin nicht anders als in Bayern.
Ebenso verstaubt wie die gesamte mickrige Einrichtung war auch das klapprige lebensgroße Skelett in der Ecke, das Sofie aus leeren Augenhöhlen entgegengrinste. Eindeutig ein männliches Exemplar, wie ihr ein kurzer Blick auf die Beckenknochen bestätigte. Der Bursche fristete in dieser Rumpelkammer ganz offensichtlich sein Gnadenbrot.
»Wir haben inzwischen ein besseres Modell im Haus, mit Muskelmarkierungen und Bandapparat. Die Studenten kommen ja manchmal mit den absurdesten Fragen. Von mir aus können Sie das Ding entsorgen. Es sei denn, Sie haben Hamlet-Ambitionen.«
Sofie schüttelte nachdenklich den Kopf. Etwas Gesellschaft, und sei es auch nur die eines stummen Knochenmanns, würde ihr zum Einstieg wahrscheinlich ganz guttun. Vor allem angesichts der bedrohlich riesigen Stapel an Unterlagen, die sich auf dem Schreibtisch häuften.
Dr. Falk schien ihre Gedanken zu erraten.
»Wie Sie meinen. Viel Platz werden Sie ohnehin nicht brauchen. Wir sind in Sachen Gerichtsgutachten etwas hinterher. Ich hoffe, Sie sind fit am PC .«
Das böse Wörtchen »wenigstens« schwang unhörbar in Dr. Falks letztem Satz mit.
Sofie unterdrückte ein Seufzen und nickte. Die geborene Schreibtischtäterin war sie nicht gerade. Aber gut. Auch das gehörte eben zu ihrem Job. Ihre Zeit am Seziertisch und im Labor würde schon noch kommen.
»Wenn Sie mich jetzt entschuldigen – ich habe noch eine Menge zu tun. Sie finden sich ja sicher fürs Erste allein zurecht.«
Dr. Falk entschwand. Endlich!
Sofie zwinkerte ihrem stummen neuen Freund in der Ecke kurz zu.
George. So würde sie ihn nennen!
Dann raste sie zu ihrem Spind, fingerte den in Zeitung eingeschlagenen Pappbecher aus dem Rucksack und schlug den Weg Richtung Teeküche ein. Das Allerheiligste, die Sektionsräume und das Labor, hatte die Kollegin ihr für heute vorenthalten. Dann musste es eben auch so gehen.
Sofie
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