Die Kalte Sofie
sprang die Tür auf.
»Da also stecken Sie!« Elke Falks eisige Stimme ließ die Raum temperatur augenblicklich um mehrere Grade sinken. »Arbeiten Sie eigentlich auch irgendwann?«
Misstrauisch musterte sie Joe, der sich hastig wieder aufgerichtet hatte.
»Jetzt nicht mehr.« Schmunzelnd packte Sofie die Tasche mit ihren Joggingklamotten. »Ich hab nämlich nur eine Halbtagsstelle, wie Sie ja wissen – und für heut ist meine Schicht zu Ende.«
Ihr Lächeln wurde schmelzend, als sie sich augenzwinkernd Joe zuwandte: »Pfiat Eahna Gott, Herr Lederer. Man sieht sich!«
32
Isar-Idylle
D er süße Duft von Hollerblüten, Flieder und Jasmin.
Vogelzwitschern.
Luft wie schiere Seide.
Nach dem nahezu sauerstofffreien PC -Raum des Instituts genau das, was sie jetzt dringend brauchte.
Mit den immer noch wild übereinandergestapelten und natürlich so gut wie gar nicht ausgepackten Umzugskartons zu Hause hatte sie sich inzwischen arrangiert. Die Leute von der Umzugsfirma Gfeiter hatten sich noch nicht gemeldet. Und da Sofie inzwischen alles fand, was sie akut brauchte – zum Beispiel ihren Jogginganzug und die Laufschuhe –, bestand in ihren Augen absolut kein Anlass, ihr dringend anstehendes Fitnessprogramm erneut zu verschieben.
Zumal an so einem traumhaften Frühlingstag.
Selig vor Glück sperrte sie ihr Fahrrad ab und schulterte den Laufrucksack. Dann streckte und dehnte sie sich ausgiebig und begann mit ersten Aufwärmübungen.
Hüftkreisen, Schulterkreisen, Fußkreisen.
Oberkörperrotation.
Lief ja besser als gedacht!
Schließlich die tiefe Hocke.
Ächzend klammerte Sofie sich an den Holzzaun und kam schnaufend wieder hoch.
Na servus!
Fünfzehnmal hatte sie es bis vor Kurzem noch geschafft. Heute hingegen brach ihr nach gerade mal drei Wiederholungen schon der Schweiß aus.
Durch die Bäume drang ausgelassenes Juchzen und Geplätscher vom benachbarten Schyrenbad an ihre Ohren. Der Tag wurde ebenso heiß wie gestern, geradezu perfekt also für ein erfrischendes Bad im kühlen Nass.
Nachdenklich wischte sich Sofie die schweißnasse Stirn.
Warum eigentlich nicht?
Nur, weil sie sich heute eisern »Joggen an der Isar« auf die Fahne geschrieben hatte? Und einen Bikini würde sie sich an der Kasse garantiert auch ausleihen können.
Aber genau da fing das Problem an.
Erst war es das Frustessen aus Liebeskummer gewesen, das sich wie ein Schwimmring auf ihren Hüften abgelagert hatte – wobei sich das Thema »gebrochenes Herz« inzwischen zum Glück erledigt hatte. Hoffentlich. Das Problem mit den Kalorien allerdings nicht.
Seit ihrer Ankunft in München war es vor allem Tante Vronis bayerische Kost am Abend, die sie regelmäßig schwach werden und einen glanzvollen Auftritt im knackigen Schwimmdress in immer weitere Ferne rücken ließ.
Aber damit war ab heute Schluss!
Entschlossen kehrte Sofie der verlockenden Geräuschkulisse jenseits des Zauns den Rücken zu und trabte los.
Bis zur Brudermühlstraße und wieder zurück, also rund fünf Kilometer, hatte sie sich für heute vorgenommen. Falls ihre Kraft noch reichte, konnte sie dann immer noch weiter zu den malerischen Kiesbänken am Flaucher, um dort wenigstens die Füße kurz ins Wasser zu tauchen.
Eine leichte Brise kühlte ihre Stirn, der unbefestigte Trampelpfad durch die kniehohen Gräser federte bei jedem Schritt. Allmählich fand sie ihren Rhythmus, wie von selbst glitt die Anspannung der letzten Tage von ihr ab.
Und das Karussell in ihrem Kopf begann …
Die auf so rätselhafte Weise ums Leben gekommene Maus. Der Ukrainer namens Jan Schmidt – wenn er überhaupt so hieß –, der im Siebert’schen Gartenpavillon vielleicht bei lebendigem Leib verbrannt war. Die kleine Vanessa, die immer noch im Krankenhaus lag und der sie versprochen hatte, bald wieder vorbeizuschauen. Das nervige Hickhack mit der Falk, dieser eiskalten Hyäne. Die Begegnung mit Charly, dem charmanten Polizeireporter, und seinem Cabrio namens Dante. Hatte er nicht versprochen, sich wieder bei ihr zu melden? Und dazwischen immer wieder: Joe mit seinem Schmunzeln, den sehnsüchtigen Augen und den warmen Händen, die so zärtlich sein konnten …
Hallo? Ging’s eigentlich noch?
Energisch versuchte Sofie, ihre Gedanken an die kurze Leine zu nehmen, und legte einen Zahn zu.
Einatmen, ausatmen.
Und ein. Und aus.
Hier irgendwo im Gebüsch nahe am Isarufer war es gewesen, wo dieser widerliche Dreckskerl sich an Laura rangemacht hatte. Ein Jogger mittleren Alters in
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