Die Kalte Zeit
geschafft, ein Glas Wein zu trinken, da lagen sie schon auf seinem Sofa. Was Kleinschmidt da erzählte, war unvorstellbar.
»Dagmar sagt, es mache ihr nichts aus. Ich soll Geduld haben. Und wenn es nichts mehr wird, dann ist es für sie in Ordnung.« Er stellte das Glas hart auf den Tisch. »In Ordnung! Das will man hören von seiner Frau.«
»Ich hab mal gehört, man kann seinen Beckenboden trainieren. Das soll ’ne Menge bringen.« Zagrosek sah Kleinschmidt an. »Du darfst nicht so früh aufgeben. Das wird wieder, da bin ich sicher.«
Zagrosek nahm aus dem Augenwinkel die hübsche Kellnerin wahr, die zu ihnen hinüber blickte. Turnusmäßig war die nächste Bestellung fällig. Zagrosek winkte ab. Es war genug.
Doch Kleinschmidt hob schon den Arm. »Wir kriegen noch zwei.«
3. Dezember
»Geh rüber zu den Martinis und hol ein paar Eier.« Gesa schupste Felix sanft zur Tür. »Hier hast du zwei Euro. Die gibst du Oma Martini.«
»Ich will da nicht hin.«
»Warum denn nicht?«
»Da ist es gruselig. Außerdem haben wir doch selbst genug Eier.«
Gesa seufzte. Einem Siebenjährigen konnte man nicht mehr so leicht etwas vormachen. »Felix, bitte. Es geht mir nicht um die Eier. Ich möchte nur, dass jemand kurz nach dem Rechten sieht. Du bist doch mein Großer.«
»Warum gehst du nicht selber?«
»Weil ich keine Zeit habe.« Gesa sah auf die Uhr. Gleich war Mittagspause. Sie hatte den Bohneneintopf für die polnischen Erntehelfer auf dem Herd. Der war gleich fertig und duftete schon durchs ganze Haus. Ein Teil der Männer aß an Annas großem Küchentisch zu Mittag und der Rest im Wohnzimmer, das deshalb zur Erntezeit beheizt wurde. Wolf hatte wie immer die Biertische aus dem Keller aufgestellt. Gesa musste noch eindecken.
»Darf ich Hasko wenigstens mitnehmen?« Felix hatte darauf bestanden, dass der neue Hund den gleichen Namen bekam wie sein Vorgänger.
»Ja, meinetwegen. Aber beeil dich. Gleich gibt’s was Leckeres.« Gesa hob den Deckel und rührte um.
Felix blickte in den Topf. »Ich mag aber keine Bohnen.«
Gesa warf ihm einen drohenden Blick zu. Felix nahm den Eierkorb und zog los.
Anna kam mit einem bis zum Rand gefüllten Klappkorb herein. »Bei Spicker waren Koteletts im Angebot. Die mach ich morgen mit Sauerkraut.«
»Wir müssen sparen, Mama. Fleisch nur zweimal die Woche.«
»Den Speiseplan in diesem Haus mache ich. Und die Männer brauchen was Ordentliches zu essen. Die schuften den ganzen Tag in der Kälte.« Anna guckte in den Topf. »Hast du Speck drin? Sonst gibt das keinen Geschmack.«
»Klar ist welcher drin.«
Felix kam herein, atemlos, er schwang den leeren Eierkorb. »Mama, bei den Martinis ist keiner. Und die Hühner laufen auf der Straße rum.«
Gesa knallte den Topflappen auf die Arbeitsfläche und zog ihre Schürze aus.
Anna runzelte die Stirn. »Wieso schickst du den Jungen da rüber? In das Chaos?«
Gesa strich Felix über die Haare. »Ich geh schnell mal selbst nachsehen.«
»Jetzt?«, rief Anna. »Ich muss los zum Arzt. Was ist mit der Suppe?«
Gesa drückte ihren Sohn auf die Sitzbank am Esstisch. »Felix, du passt auf. Setz dich da hin und beobachte den Topf. Es kann nichts passieren, die Suppe köchelt vor sich hin. Und in drei Minuten bin ich wieder da.«
Gesa verließ die Hofeinfahrt und stolperte fast über ein Huhn, das aus dem Gebüsch auf die Straße lief. Die Martinis ließen das Hoftor notgedrungen offen. Die gesamte Front des Gehöftes war von Efeu bewachsen, das obere Drittel des Tores bereits zugewuchert. Der Hof diente als Abstellfläche für kaputte Maschinen. Die Gänse stolzierten um einen Haufen Rüben herum. Die äußere Stalltür stand offen. Die Schweine lagen in nassem, faulendem Stroh und quiekten, als sie Gesa entdeckten. Die obersten Scheiben der Stallfenster waren zerbrochen und die Scherben lagen auf den lehmigen Boden verstreut. Gesa blickte sich um. Opa oder Oma Martini waren nicht zu sehen.
Felix hatte irgendwann angefangen, die beiden so zu nennen, obwohl sie in Wirklichkeit keine Großeltern waren. Juliane Martini, ihre einzige Tochter, arbeitete als Schauspielerin in einem Düsseldorfer Privattheater. Juliane war zwei Jahre älter als Gesa. Als Kinder waren sie Freundinnen gewesen und hatten jeden Tag zusammen gespielt, aber schon als Teenager lebten sie sich auseinander. Während Gesa noch lange Zeit an ihren Puppen hing oder sich stundenlang mit den Tieren auf dem Hof beschäftigen konnte, saß Juliane am liebsten auf ihrem
Weitere Kostenlose Bücher