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Die Kalte Zeit

Die Kalte Zeit

Titel: Die Kalte Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Kliem
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Minuten, bis die Polen zum Essen kamen. Sie griff zum Telefon und wählte Julianes Handynummer.
    »Juliane Martini?«
    »Hier ist Gesa.«
    »Ach, hallo. Wie geht es dir, Gesa?«
    Gesa hörte an Julianes Stimme, dass sie in Eile war und nicht lange gestört werden wollte.
    »Es geht um deine Eltern«, sagte Gesa. »Deine Mutter ist krank.«
    »Wieso? Was hat sie denn?«
    »Eine Grippe. Sie liegt im Bett. Und dein Vater war nicht da, angeblich auf dem Weg zur Apotheke. Deine Mutter sagt, er . . .« Gesa stockte, als sie das leise Klappern von Julianes Tastatur hörte.
    »Entschuldige, eine ganz dringende E-Mail. Also gut, was ist mit Vater?«
    »Du musst vorbei kommen. Deine Eltern kommen nicht mehr klar. Es ist alles . . .« Gesa suchte nach Worten, um den Zustand des Nachbarhofes angemessen zu beschreiben.
    »Gesa, ich kann erst am Wochenende kommen. Ich hab Freitag Premiere. Es ist ein Wunder, dass du mich überhaupt erwischt, wir proben fast rund um die Uhr.«
    Gesa erinnerte sich dunkel, am Morgen eine Schlagzeile im Kulturteil über Julianes Theater überflogen zu haben.
    »Ich hab dir doch erzählt, dass ich vielleicht ein Engagement in London kriege. Es sieht im Moment richtig gut aus.«
    »Aber London . . .! Wie willst du . . .?« Gesa hörte wieder Tippgeräusche auf der Tastatur und verzichtete darauf, den Satz zu beenden. Juliane würde sich nicht vom Zustand ihrer Eltern und des Hofes davon abhalten lassen, ins Ausland zu gehen.
    »Das wollte ich immer schon machen. Das ist meine große Chance.«
    Als Gesa schwieg, holte Juliane leise zischend Luft. »Ich komme am Samstagmorgen raus. Nein, mittags. Versprochen. Bitte sieh ab und zu mal nach ihnen. Ja? Tust du mir den Gefallen? Ich hab wirklich Stress hier.«
    Gesa versprach es ihr. Sie hätte Juliane gern die Meinung gesagt. Laut und böse. Aber aus ihrem Mund drang keine Silbe. Sie legten auf.
    Gesa warf einen Blick aus dem Fenster. Die Polen waren noch nicht zu sehen. Sie musste das Brot aus dem Ofen holen, Felix zum Essen rufen. Stattdessen setzte sie sich an den Tisch. Das Gefühl, das sie bei Gisela Martinis Traum ergriffen hatte, kehrte zurück. Es legte sich wie ein Ring aus Eisen um ihre Brust und machte ihr Angst, so als sei sie wirklich gefangen. Sie konnte den Brunnenschacht vor sich sehen, er war tief und dunkel. An der Wand wuchs eine Moosschicht, die vor Nässe tropfte und die jeden Laut verschluckte.
     
    Nach dem Essen nahm Gesa die Felcoschere und ging in die Tannenkultur, ohne jemandem Bescheid zu sagen. Drei Stunden lang schnitt sie die untersten Astkränze jeder einzelnen Tanne ab.
    Nun legte sie die Schere auf den Boden und richtete sich langsam auf. Es war kalt, aber sonnig, der Himmel blassblau. Gesa ließ den Blick über die umliegenden Felder schweifen. Die Natur war ausgelaugt nach der langen Trockenheit und der Kälte. Alle Farben wirkten wie ausgewaschen. Nur die Tannen besaßen ein kräftiges dunkles Grün. Und das hätte noch leuchtender ausfallen können, wenn Wolf wie versprochen gedüngt hätte.
    Obwohl ihr Rückgrat schmerzte, machte sie die Arbeit gern. Sie musste nicht Nachdenken dabei. Und sie war froh, ein paar Stunden allein zu sein. Zuhause, auf dem Lagerplatz, im Hofladen, immer waren Leute um sie herum, stellten Fragen, wollten was von ihr.
    Sie sah Lars’ Gesicht mit den braunen Augen vor sich. Wenn sie allein war, passierte es, dass sie an ihn dachte. Auch wenn sie es sich verbot. Lars hatte sich mit Hinweis auf die Ermittlung zurückgezogen. Und die ‚Soko Tannenspitze’ schien für die Polizei abgeschlossen, zumindest kam niemand mehr und stellte Fragen. Vielleicht sah sie ihn die nächsten zehn Jahre nicht wieder? Nein, das war unwahrscheinlich, wenn er nun in Kaarst wohnte. Sie würden sich über den Weg laufen, auf einem Schützenfest, oder samstags beim Einkaufen. Sie würden ein paar belanglose Sätze wechseln. Er lebte sein Leben mit seiner Familie und sie das ihre. Dieser Gedanke tat ihr weh. Zum ersten Mal dachte sie daran, wie anders ihr Leben verlaufen wäre, wenn sie damals, vor dreizehn Jahren, nicht auf Konrad gehört hätte. Wenn sie sich widersetzt hätte und mit Lars weggegangen wäre. Aber sie hatte sich von Lars getrennt, weil Konrad ihn nicht mochte. Er hielt Lars ruhige, sanfte Art für Schwäche. So einer soll für Recht und Ordnung sorgen? Vor dem hat doch nicht mal eine Fliege Angst. Wenn den einer anpustet, fällt der doch um. Was du brauchst, ist ein richtiger Kerl. Einer der hier

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