Die Kalte Zeit
mit anpackt. Willst du eine Polizistenfrau sein, die jeden Abend allein zuhause sitzt und wartet, während dein Lars Überstunden macht? Du erbst den Hof, Gesa. Du hast ein Händchen für Bäume. Aber du brauchst einen Mann, der den Betrieb leitet, wenn ich mal nicht mehr kann.
Ein Motorgeräusch riss Gesa aus ihren Erinnerungen. Ein weißer Landrover bog von der Landstraße in den Feldweg ein, der zu Gesas Tannenkultur führte. Eine schlanke Frau mit Kurzhaarschnitt in einem weißen Blouson sprang heraus, winkte und lief auf Gesa zu. Es war Christine Piske, die Chefredakteurin des ‚Nadel Journals’. Gesa kannte sie von Fachmessen, wo Christine oft die Moderation übernahm. Gesa hatte bei den Wettbewerben schon mehrmals den Preis für den schönsten Baum von ihr überreicht bekommen. Und vor vier Wochen hatte Christine einen zornigen Artikel über die Zerstörung der siebentausend Tannen geschrieben.
»Christine, was machst du denn hier?«
Sie schüttelten sich die Hand. Christine hatte Gesa kaum angesehen, ihre Blicke wanderten schon über die Tannen. »Ambrolauri-Tlugi?«
Als Gesa nickte, verzog Christine den Mund. »Du bist bei der Stumpfbeschneidung? Da freut sich der Rücken.«
»Ist gut zum Stress abbauen«, meinte Gesa.
»Gestern erst hab ich im Sauerland mit einem Produzenten über die Vor- und Nachteile diskutiert. Der geht an die Ambrolauri nicht ran. Lohnt die Mühe nicht, sagt er.«
»Es ist halt Knochenarbeit.« Gesa lächelte. »Aber es beschleunigt das Höhenwachstum, und man kann sie ein Jahr früher verkaufen.«
Christine inspizierte die bereits beschnittenen Tannen. »Ich geb viel auf deine Meinung. Ich plane fürs nächste Heft einen Artikel darüber und würde dich gern dazu interviewen. Du meinst also, es lohnt sich?«
»Absolut. Du beugst Pilzbefall vor, wenn die Kultur luftiger steht, und das Ernten ist später auch einfacher.«
Christine Piske kramte einen Notizblock aus ihrer Umhängetasche und schrieb etwas hinein. Dann blickte sie auf. »Aber nun erzähl mal. Von dir hört man ja interessante Neuigkeiten.«
Gesa sah sie erstaunt an. »Was denn?«, fragte sie.
Christine grinste. »Du weißt doch, in der Branche kennt jeder jeden. Da wird alles gleich rumgetratscht.« Sie lächelte befriedigt. »Sonst würde mir auch schnell der Stoff für meine Hefte ausgehen.« Sie wurde ernst. »Ich hab einen Tipp bekommen, dass du eine eigene Samenzucht eröffnest. Das ist für mich ein hochaktuelles Thema. Die Situation in Georgien wird immer undurchschaubarer. Letztes Jahr der Krieg in Südossetien. Keiner der Samenhändler wusste, ob er seines Lebens noch sicher ist. Im Mai der Frost. Ein Großteil der jungen Zapfen ist erfroren. Und dann im September diese dubiose Versteigerung. Trotzdem haben die Dänen Millionen Samen mitgebracht.«
Gesa erinnerte sich, in einer der letzten Ausgaben des ‚Nadel Journals’ darüber einen Bericht gelesen zu haben. Für die gesamten Ernteregionen sollten Lizenzen zum Pflücken versteigert werden. Ohne ein offizielles Papier der georgischen Regierung sollte niemand mehr Samen ernten dürfen.
Christine blinzelte, die Sonne blendete sie. »Stell dir mal vor, nur zwei deutsche Firmen haben mitgeboten. Die Pflücklizenzen für die guten Herkünfte sind für zehn Jahre vergeben, unter anderem an mehrere dänische Firmen und nur an eine der beiden deutschen. Die Abhängigkeit wird immer größer. Und vielen Händlern und Baumschulen gefällt das überhaupt nicht.» Christine Piske sah Gesa eindringlich an. »Wenn du mit eigenen Samen handelst, noch dazu mit Borshomi, einer der Spitzenherkünfte, dann wird man dich mit Argusaugen beobachten.«
Gesa wehrte mit einer Handbewegung ab. »Das steckt alles noch in den Kinderschuhen. Wir haben noch nicht mal gepflanzt. Wer weiß, wie schön die Bäume werden? Wir haben ja keine Erfahrung damit.«
»Ihr habt so was wie einen Rohdiamanten mit diesen alten Tannen. Und niemand kann euch das so schnell nachmachen. Ihr habt einen Vorsprung von mehr als einem Vierteljahrhundert.« Sie sah Gesa neugierig an. »Wieso hat dein Vater sie stehen lassen?«
Gesa lächelte. »Keine Ahnung.«
»Na ja, vielleicht eine der weisesten Entscheidungen seines Lebens«, meinte Christine. »Und wann willst du sähen? Im März? Gleich im Freien? Oder zuerst in Container?«
»Ich . . . ich weiß noch nicht genau.«
»Ich möchte den gesamten Prozess gerne dokumentieren. Mist, dass ich das Pflücken verpasst habe. Erzähl mal genau, wie
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