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Die Kalte Zeit

Die Kalte Zeit

Titel: Die Kalte Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Kliem
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hast du bemerkt, dass du reife Zapfen hast?«
    Ein warmes Gefühl breitete sich in Gesa aus. Christines Interesse tat so gut! Gesa war stolz auf ihre Entdeckung, sie war stolz auf die Qualität ihrer Samen, auf den Vorteil, den sie gegenüber anderen Baumschulen hatte. Zum ersten Mal gestand sie sich das ein. Sie durfte sich das nicht von Wolf und Konrad kaputtmachen lassen.
    »Ich beobachte die Kultur schon seit ein paar Jahren. Es gibt hier in Büttgen einen Jugendlichen, der Hobbykletterer ist. Der geht jeden Spätsommer für mich rauf in die Bäume und sieht nach. Und diesmal war es soweit.«
    »Wie viel hast du geerntet?«
    »Zehn Säcke à fünfzig Kilo, also eine halbe Tonne insgesamt.«
    Christine nickte anerkennend. »Ich hoffe, die sind gut bewacht. Pro Kilo kannst du hundertfünfunddreißig Euro rechnen. Deine Zapfen sind rund fünfundsechzigtausend Euro wert.«
    Gesa biss auf ihrer Lippe herum.
    »Was ist mit dir los?«, fragte Christine. »Du wirkst nicht so richtig glücklich.«
    Gesa lächelte ertappt. »Du kannst Gedanken lesen, das hab ich immer schon befürchtet.«
    »Hast du Probleme?«
    »Wolf und Konrad unterstützen meine Pläne nicht so richtig. Also, kurz gesagt, ich weiß nicht, ob aus der Sache was werden kann.«
    Christine schüttelte den Kopf. »Verstehe ich nicht.« Sie schwieg einen Moment, schien nachzudenken. Dann sah sie Gesa an. »Lass mich mal machen. Ich schreibe ein schönes Porträt über dich. Gesa Hendricks – die Frau der Zukunft. Dann haben wir die Tatsachen quasi schon geschaffen. Dann gibt es kein Zurück mehr. Die Leute rennen dir wegen der Samen die Bude ein. Und deine Männer können gar nicht anders, als sich über die Erträge zu freuen.«
    »Um Gottes Willen, Christine! Das geht nicht. Konrad würde . . . Ich kann nicht gegen seinen Willen . . .«
    Die Journalistin hob eine Hand. »Stopp. Das kann ich mir nicht anhören, so viel Schwachsinn verkrafte ich nicht. Also pass auf, ich sage dir, wie wir es machen. Ich schreibe den Artikel. Ohne deine Einwilligung. Du weißt nicht mal was davon. Ich habe die Information aus einer ganz anderen Quelle. Was übrigens die Wahrheit ist.«
    Gesa wusste gleich, wen Christine als ‚Quelle’ bezeichnete: Andreas Stickel, der einige Samen begutachtet hatte. Gesa wollte die übrigen in Kürze bei ihm in die Klenge geben, wo die reinen Samen von den Zapfenresten maschinell getrennt wurden. Entweder hatte Stickel selbst Christine angerufen, oder er hatte es anderen weitererzählt, die dann die Fachpresse informiert hatten.
    »Ich weiß nicht, Christine. Das ist keine gute Idee. Wir warten lieber, bis ich das hier intern geklärt habe.«
    »Nix da.« Christine grinste. »Du glaubst wohl, ich sehe zu, wie du hier untergebuttert wirst.« Sie wandte sich zum Gehen. »Im März komme ich zum Pflanzen. Dann machen wir ein paar schöne Fotos von dir.« Sie stapfte zu ihrem Wagen, drehte sich noch mal um. »Also, machs gut, Gesa. Und übrigens, die neue Frisur sieht klasse aus!«
    Gesa sah ihr nach. Dann hob sie die Felcoschere auf. Christine hatte für sie entschieden. Einfach so. War das gut oder schlecht? Immer wieder passierte Gesa das: Sie selbst wusste nicht weiter und jemand anderes entschied für sie.
    Nun würde sich ihr Leben ändern, und sie musste darauf reagieren. Aber sie würde am Ende auch nicht schuld sein, wenn etwas schief ging. Oder doch? Gesa schüttelte den Kopf. Es war alles zuviel. Sie hatte nicht die Kraft . . . Sie betrachtete die Tannen um sich herum. Das war ihre heutige Aufgabe. Stumpfbeschneidung. Hundert Stück konnte sie noch schaffen, bis es dunkel wurde. Sie trat zur nächsten Tanne, bückte sich und schnitt die unteren Astkränze ab.
    »Du hättest doch lieber Frisöse werden sollen«, sagte eine kalte Stimme in ihrem Rücken.
    Gesa drehte sich um. Konrad stand da wie aus dem Erdboden gewachsen. Er hatte seinen braunen Lederhut mit dem geflochtenen Zierband tief in die Stirn gezogen, die Hände in den Taschen seiner Wachstuchjacke vergraben. Hatte er Christine wegfahren sehen? Bestimmt nicht, sonst hätte er schon eine Bemerkung gemacht.
    »Ein ganzer Arbeitstag futsch. Für diesen Blödsinn. Das zahlt sich am Ende nicht aus, Gesa.«
    Gesa seufzte. Sie führte diesen Streit mit Konrad seit vielen Jahren. Das heißt, genauer gesagt stritt er mit ihr, bei jeder besonderen Pflegemaßnahme warf er ihr vor, Zeit und Energie zu verschwenden. Es war eine Frage der Philosophie. Entweder man überließ die Bäume sich

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