Die Kalte Zeit
machen?
Nicht sehr weit entfernt glimmte ein Licht auf und erhellte ein Fenster. Das war Graupners Maschinenhalle.
Gesa wischte sich ein paar Tränen aus den Augen. Eine Halle. Eine Chance, um Zeit zu gewinnen. Magisch angezogen lief sie auf das warm leuchtende Viereck zu.
Wolf bog mit seinem Wagen in den Hof ein. Hier war das letzte Tageslicht längst von den Schatten der Mauern geschluckt worden. Dafür leuchteten Lichterketten, mit denen Gesa wie jedes Jahr den Laden geschmückt hatte. Es roch nach Glühwein und Tannengrün, Weihnachtsmusik dudelte aus zwei Musikboxen. Wolf parkte seinen Wagen in der Scheune, die Hofplätze sollten für die Kunden frei bleiben.
Etwa zehn Leute standen Schlange vor dem Laden. Das ganz normale, ewig gleiche Weihnachtsgeschäft. Nur war es diesmal eine Farce, weil sie kaum etwas anzubieten hatten. Die Leute fragten nach mittelgroßen Nordmanntannen. Anna brachte schon kaum noch ein Lächeln zustande, wenn sie wieder und wieder erklären musste, was geschehen war. Wolf half ihr, mit dem Ansturm fertig zu werden. Eigentlich wurde er dringend auf dem Lagerplatz gebraucht. Wo blieb Gesa? Den Tag hatte sie mit der Stumpfbeschneidung der vierjährigen Ambrolauri-Tlugi vertrödelt, aber nun war es dunkel. Auch Konrad war verschwunden, ohne jemandem Bescheid zu sagen.
Felix verpackte zwei Gläser Himbeermarmelade in eine Papiertüte. Er half gern im Hofladen, wenngleich sein Eifer meist nur von kurzer Dauer war. Die Leute lobten ihn, strichen ihm über den Blondschopf, und ab und zu steckte ihm auch jemand etwas Kleingeld zu. Wolf tat, als merke er es nicht. Aber er war zufrieden mit seinem Sohn. Felix lernte frühzeitig, dass Leistung sich lohnt. Wolf nahm sich vor, das Taschengeld seines Sohnes in der Hauptsaison etwas aufzustocken.
Der Lautsprecher an der Außenmauer der Küche übertrug blechern das Schrillen des Telefons. Wolf beeilte sich und nahm das Gespräch an.
»Hier ist noch mal Schiefner-Wallner, Vorzimmer des Bürgermeisters.«
»Ah ja, wir hatten heute Mittag miteinander gesprochen«, sagte Wolf.
»Ihr Schwiegervater hat sich nicht hier gemeldet. Haben Sie ihm denn Bescheid gesagt? Ich hatte Ihnen ja angedeutet, dass es dringend ist.«
Wolf hatte nicht vor, ihr zu erzählen, wie Konrads Reaktion beim Mittagessen ausgefallen war, als Wolf ihm von dem Anruf berichtet hatte. »Hünges, der faule Hund«, hatte Konrad geknurrt. »Der hat für Büttgen noch nichts zustande gebracht.« Wolfs Hinweis darauf, dass Konrad dringend zurückrufen solle, hatte noch mehr Widerstand ausgelöst. Wenn die hohen Herren irgendetwas von einem wollten, dann sei es auf einmal ‚dringend’, aber wenn die Bürger, die immerhin horrend hohe Steuern zahlten, mal ein Anliegen äußerten, dann sei alle Zeit der Welt vorhanden. Wer was von ihm, Konrad Verhoeven, wolle, der werde sich schon wieder melden.
Wolf räusperte sich. »Frau Schiefner-Wallner, ich habe es ausgerichtet. Es ist nur leider so: Mein Schwiegervater ist krank. Er liegt mit Fieber im Bett.«
»Ach du liebe Zeit! Das tut mir leid«, sagte die Sekretärin. »Was machen wir da nur? Herr Hünges verreist übernächste Woche, und er wollte diesen Termin mit Ihrem Schwiegervater unbedingt vorher wahrnehmen. Ich muss das auch mit dem Terminkalender eines Sachbearbeiters abstimmen. Er ist von der Wirtschaftsentwicklungs- und Förderungsgesellschaft in Korschenbroich. Ach je, das ist wirklich kompliziert.«
Wolf legte zuversichtliche Wärme in seine Stimme. »Ich möchte Ihnen ja gern helfen. Warum sagen Sie mir nicht, worum es sich handelt? Dann kann ich meinen Schwiegervater schon mal informieren.«
»Nein, das geht wirklich nicht.« Die Sekretärin klang genervt.
»Entschuldigen Sie – Ihr Name ist Schiefner?«, fiel es Wolf plötzlich ein. »Schiefner aus Kleinenbroich zufällig?«
»Ja, wieso?«, fragte sie.
»Sind Sie mit Thomas Schiefner verwandt? Der im Autohaus Moll arbeitet?«
»Ja, das ist mein Bruder.«
»Na so ein Zufall!«, rief Wolf. »Ich kenne ihn gut, wir sind Schützenbrüder. Bestellen Sie ihm doch bitte einen herzlichen Gruß von Wolf Hendricks.«
»Ja, das werde ich.«
»Prima!« Wolf tat so, als fiele ihm der eigentliche Grund ihres Anrufs erst jetzt wieder ein. Er senkte die Stimme. »Tja – was machen wir denn nun wegen Ihres Termins?«
Die Sekretärin zögerte. »Also, passen Sie auf, Herr Hendricks, sagen Sie bitte Herrn Verhoeven, es ginge noch mal um das Kaufangebot für die Grundstücke.
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