Die Kalte Zeit
auch verkaufen. Haben Sie das gewusst?«
»Nein.« Graupner sah ehrlich erstaunt aus. »Sieh mal an, das hätte ich nicht gedacht. Dann war er doch nicht so verbohrt, wie ich dachte.« Er lächelte. »Und ich hab mir umsonst Sorgen um mein Geld gemacht.«
Zagrosek und Kleinschmidt liefen über den Flur in Richtung des Besprechungsraumes. Lammert traf zeitgleich ein. Nellessen saß schon am Tisch und blätterte in seinen Notizen.
»Also noch mal offiziell«, sagte Nellessen, »willkommen im Team, lieber Werner. Wir sind sehr froh, dich zurück zu haben.«
Bei jedem anderen hätten die Worte herzlich geklungen. Aus Hans Nellessens Mund klang alles nur steif. Zagrosek dachte an Vera. Vielleicht hatte sie das auch schnell gemerkt, Nellessen war ein humorloser Stiesel. Da nützen ihm auch sein gutes Aussehen und sein Ehrgeiz im Job nicht viel.
Kleinschmidt setzte sich. »Dank Tom konnte ich mir schon einen Eindruck verschaffen.« Er schlug sein Notizbuch auf. »Wir sind auf eine Sache gestoßen, die uns eventuell ein Motiv liefern könnte.« Er berichtete von Hünges’ Vernehmung und brachte die Begegnung mit Graupner in wenigen Sätzen auf den Punkt.
Zagrosek beobachtete ihn. Er wirkte energiegeladen und selbstbewusst. Der Werner Kleinschmidt, den Zagrosek vorhin auf den Feldern erlebt hatte, der Mann, der im Selbstmitleid ertrank, war wieder verschwunden.
»Wir haben eine ganze Reihe von Kandidaten, die ein starkes Interesse daran haben, die Verkaufsverhandlungen zum Abschluss zu bringen«, sagte Kleinschmidt. »Der Investor selbst. Hünges, der sich profilieren, Infrastruktur schaffen und zahlungskräftige Steuerzahler in die Kommune locken will. Die Tochter der Martinis, die kein Interesse an dem Erhalt des elterlichen Hofes hat. Wolf Hendricks, der den Betrieb umrüsten will. Herbert Graupner, dessen Sohn den Hof nicht übernehmen will und der für seinen Lebensabend vorsorgen muss.«
»Wie steht die Tochter zu dem Verkauf?«, fragte Lammert.
»Sie müsste dagegen sein. Verkaufen heißt Schluss für ihre Pläne mit den Nordmannsamen.«
»Wenn es stimmt, was Schäffer sagt, dann wusste Wolf Hendricks nichts von Verhoevens Meinungswechsel«, nahm Zagrosek den Faden wieder auf. »Er hat ein Motiv.«
»Und der umgekehrte Fall bei der Tochter?«, fragte Kleinschmidt. »Ging auch sie davon aus, ihr Vater habe abgelehnt? Und hat dann rausgekriegt, dass ihre Tannen bald futsch sein werden?«
»Und fackelt nachts vor Wut alles ab?« Lammert verschränkte die Arme.
»Wut passt nicht zu ihr«, meinte Zagrosek. »Eher Verzweiflung.«
»Und auf einmal steht ihr Vater vor ihr«, ergänzte Kleinschmidt. »Sie streiten sich, merken nicht, dass die Flammen sie einschließen. Gesa Hendricks hat etwas in der Hand. Etwas Schweres, Hartes. Sie schlägt zu. Verhoeven fällt zu Boden, Gesa Hendricks haut ab. Kurzschlussreaktion.«
»Komisch, dass Verhoeven verkaufen wollte«, sagte Zagrosek. »Erst verprellt er diesen Rohloff am Telefon und dann stimmt er auf einmal zu.«
»Vielleicht hat ihm der hohe Besuch geschmeichelt?«, meinte Lammert.
»Passt nicht zu den Beschreibungen, die wir von ihm haben.«
»Er war gegen Veränderungen im Betrieb«, sagte Lammert. »Wieso ändert er plötzlich seine Meinung?«
Einen Moment herrschte Stille.
Dann fragte Zagrosek: »Und warum sagt er niemandem was davon? Nicht mal der Familie?«
»Vielleicht würde er noch leben, wenn er darüber gesprochen hätte«, sagte Lammert.
»Es gab nur eine Person, die sich über seinen Meinungswechsel nicht gefreut hätte und das ist die Tochter«, meinte Kleinschmidt.
Lammert zuckte die Achseln. »Na gut, aber . . . daraus lässt sich kein Motiv ableiten. Nehmen wir mal an, Gesa Hendricks hätte gewusst, dass ihr Vater verkaufen will und ihn getötet. Dann hat sie das gleiche Problem jetzt mit ihrem Mann.«
»Ja, aber sie und ihre Mutter sind die Erbinnen«, warf Nellessen ein. »Vielleicht glaubte sie, sie kann sich gegen Wolf Hendricks durchsetzen?«
Kleinschmidt sah kurz in sein Notizbüchlein. »Herbert Graupner, der Nachbar, der sie von Kind auf kennt, traut ihr gar nicht zu, ihre Interessen zu wahren.«
»Nächste Version. Verhoeven hat sich Feinde in Georgien gemacht. Jemand ist hier aufgekreuzt und hat ihn umgestimmt, um es mal freundlich auszudrücken.«
»Aber warum jetzt? Was ist der Auslöser?«, fragte Zagrosek. »Und diese georgische Flasche wurde erst zwei Wochen nach Verhoevens Tod auf dem Heuboden gefunden.«
Die
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