Die Kalte Zeit
hassen, da war er ganz sicher. Aber irgendwann würde die Zeit kommen, wo er mit Weihnachten und Weihnachtsbäumen nichts mehr zu tun hatte. Das schwor er sich. Er steuerte auf sein Versteck hinter dem Regal zu. War da ein Geräusch in seinem Rücken gewesen? Er drehte sich um. In der Tür stand Anna.
»Ach, da bist du. Ich hatte dich gerade gesucht«, sagte er.
»Seit wann hab ich einen schlanken Hals und ein Etikett um den Bauch, auf dem ‚Cognac’ steht?« Anna trat zur Kasse, ließ die Lade herausfahren und legte einen Zettel hinein.
Wolf stand da, ertappt wie ein kleiner Junge. Ihm fiel nichts darauf ein. Aber im Grunde war es egal, ob er etwas sagte oder nicht.
Anna schloss die Kassenlade mit einem Knall. »Du solltest aufpassen, Wolf. Hier gehen Dinge vor, von denen du nichts weißt.«
Wolf runzelte die Stirn. »Ist etwas mit Felix?«
»Nein, wie kommst du denn darauf? Er ist bei seinem Freund Kai. Gesa wollte sich in Ruhe mit jemandem . . . unterhalten.«
»Was heißt das?«
Anna wandte sich ab und fuhr mit einem Staubtuch über die Regalbretter. »Ich habe schon damals nicht begriffen, wie man sich in so einen verlieben kann.«
In Wolfs Kopf klickte etwas. »Dieser Schäffer war schon wieder hier?«
Anna wedelte mit dem Tuch. »Tja, er will sie mitnehmen. Er hat oben in der Küche herum geschrieen: ‚Wehr dich. Fang endlich an zu kämpfen!’ Wenn du mich fragst, hetzt er sie ganz schön gegen dich auf.«
»Ich wusste, da läuft was. Das wird er mir büßen. Das werden sie mir beide büßen.«
Anna nickte mit dem Kopf nach draußen. »Er ist noch hier. Der blaue da, das ist sein Wagen.«
»Er ist noch drinnen? Bei Gesa?«
»Nein, ich habe ihn rauskommen sehen.«
Wolf griff nach der Flasche, nahm einen großen Schluck, stellte sie zurück. Er ließ Anna stehen und lief ins Haus. Er rief nach Gesa, aber sie antwortete nicht. Er sah in der Küche nach, dann im Bad, wo Licht brannte. Nichts. Er fand sie im Schlafzimmer. Sie lag im Bett, den Kopf ins Kissen vergraben.
»Gesa! Was machst du hier?«
Er packte sie an der Schulter, spürte wie sich ihr Körper versteifte. »Ich hab Kopfschmerzen. Lass mich bitte in Ruhe!«
»Wir beide sprechen uns später!«
Wolf sah sich im Zimmer um. Seine Frau betrog ihn! Einen Moment war er versucht, den Kleiderschrank aufzureißen, um Schäffer nackt und kauernd darin zu finden. Das alles war wie in einem schlechten Film.
Wolf rannte die Treppe wieder herunter. Im Hof blickte er unschlüssig um sich, dann lief er hinaus und postierte sich vor dem Haus. Schäffer war nicht auf dem Grundstück, aber wenn er zu seinem Wagen wollte, musste er hier vorbei. Er spähte nach rechts und links die Straße hinunter. Niemand war zu sehen. Es dämmerte schon. Vor Wolf lag dunkel und abweisend die Hofmauer der Martinis. Vielleicht hatte sich Schäffer irgendwo versteckt und wartete darauf, dass Wolf wegfuhr. Um wieder zu Gesa zu gehen. Sich zu ihr ins Bett zu legen. »Dich mach ich fertig, du halbe Portion«, murmelte er.
Da! Ein Licht blitzte auf. Sein Blick schnellte nach oben zum Fenster von Martinis Scheune. Ein kleine Flamme, eine Kerze oder ein Feuerzeug? Jetzt war alles wieder dunkel.
Wolf schlich um das Haus herum, durch den verwahrlosten Hof der Nachbarn. Er ging in die Scheune, setzte lautlos einen Fuß vor den anderen. Da war die Leiter nach oben. Er hörte ein Rascheln und hielt inne. Dann stieg er Sprosse um Sprosse hinauf, er war selbst erstaunt, dass es trotz seiner hundert Kilo nur leise knarrte. Er sah durch die Luke ins Heu. Lars Schäffer saß drei Meter entfernt auf einem Ballen und rauchte. Die Spitze seiner Zigarette tanzte als kleiner roter Punkt in der Luft. Einige Sekunden verstrichen in gespannter Stille. Der rote Punkt glühte auf, verblasste, glühte wieder auf.
»Was wollen Sie?«, fragte Schäffer.
Wolf wollte Schäffer eine reinhauen. Ihn richtig durchprügeln. Was er nicht wollte, war ein Plauderstündchen. Aber er musste erst mal richtig rauf auf den Heuboden und Abstand zur Luke gewinnen. »Sind Sie bescheuert, im Heu zu rauchen?«
»Keine Sorge, ich hab alles im Griff.«
»Ach ja? So wie meine Frau?« Wolf setzte sich auf die Bretter neben der Luke und zog die Beine nach oben. Eine Position in der er sich schlecht verteidigen konnte. Gefährlich. Doch Schäffer rührte sich nicht.
»Was ist?« Wolf schob sich wie in Zeitlupe von der Bodenöffnung weg. »Hat’s dir die Sprache verschlagen? Ich bin nicht so blöd wie ihr denkt.
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