Die Kammer
Zigarette, als hätte irgendein anderer Gegenstand oder eine andere Gewohnheit seinen Hustenanfall ausgelöst. Er ließ sich Zeit, atmete tief und räusperte sich dann.
»Eddie war ein zartes Kind«, begann er heiser. »Das hatte er von seiner Mutter. Er war also kein Weichling, sondern im Grunde genauso zäh wie andere kleine Jungen.« Eine lange Pause, ein weiterer Zug Nikotin. »Nicht weit von uns entfernt wohnte eine Niggerfamilie...«
»Können wir sie nicht einfach Schwarze nennen, Sam? Ich habe dich schon einmal darum gebeten.«
»Verzeih mir. Da war eine afrikanische Familie auf unserem Grundstück. Die Lincolns. Joe Lincoln hieß er, und er hatte viele Jahre für uns gearbeitet. Er lebte mit einer Frau zusammen, und sie hatten ungefähr ein Dutzend Kinder. Einer der Jungen war im gleichen Alter wie Eddie, und sie waren die besten Freunde und unzertrennlich. Das war damals nichts Ungewöhnliches. Man spielte mit jedem, der in der Nähe wohnte. Sogar ich hatte als Junge afrikanische Freunde, ob du es glaubst oder nicht. Als Eddie in die Schule kam, regte er sich fürchterlich auf, weil er in einem Bus fuhr und sein afrikanischer Freund in einem anderen. Der Junge hieß Quince. Quince Lincoln. Sie konnten es kaum eerwarten, aus der Schule nach Hause zu kommen und auf der Farm miteinander zu spielen. Ich erinnere mich, daß Eddie nicht damit fertig wurde, daß sie nicht in dieselbe Schule gehen konnten. Und Quince konnte nicht die Nacht in unserem Haus verbringen, und Eddie konnte nicht bei den Lincolns schlafen. Er stellte mir immer Fragen, weshalb die Afrikaner in Ford County so arm waren und in schäbigen Hütten wohnten und keine hübschen Kleider hatten und so viele Kinder in jeder Familie. Darunter hat er sehr gelitten, und das machte ihn anders. Je älter er wurde, desto größer wurde sein Mitgefühl für die Afrikaner. Ich habe versucht, mit ihm zu reden.«
»Bestimmt hast du das. Du hast versucht, ihm den Kopf zurechtzusetzen, stimmt's?«
»Ich habe versucht, ihm einiges zu erklären.«
»Zum Beispiel?«
»Zum Beispiel, daß man die Rassen getrennt halten muß. Es ist nichts Unrechtes an getrennten, aber gleichwertigen Schulen. Nichts Unrechtes an Gesetzen, die Rassenvermischung verbieten. Nichts Unrechtes daran, dafür zu sorgen, daß die Afrikaner da bleiben, wo sie hingehören.«
»Und wo gehören sie hin?«
»Sie müssen unter Kontrolle gehalten werden. Sieh dir doch an, was passiert, wenn man sie freiläßt. Verbrechen, Drogen, AIDS, uneheliche Kinder, ein allgemeiner Zusammenbruch der moralischen Werte in der Gesellschaft.« - »Was ist mit der Weiterverbreitung von Atomwaffen und Mörderbienen?«
»Jetzt hast du mich verstanden.«
»Was ist mit den Grundrechten, radikalen Ideen wie dem Wahlrecht, dem Recht, öffentliche Toiletten zu benutzen dem Recht, in Restaurants zu essen und in Hotels zu schlafen, dem Recht, nicht diskriminiert zu werden in bezug auf Wohnung, Arbeit und Schulbildung?«
»Du hörst dich an wie Eddie.«
»Gut.«
»Um die Zeit, als er mit der High-School fertig war, hat er genauso schwadroniert und ständig davon geredet, wie schlecht die Afrikaner behandelt würden. Mit achtzehn ist er ausgezogen.«
»Hat er dir gefehlt?«
»Anfangs wohl nicht. Wir hatten uns immer in den Haaren gelegen. Er wußte, daß ich zum Klan gehörte, und konnte mich nicht ausstehen. Das hat er jedenfalls behauptet.«
»Also war dir der Klan wichtiger als dein eigener Sohn?«
Sam starrte auf den Fußboden. Adam kritzelte etwas auf seinen Block. Die Klimaanlage klapperte, wurde leise und schien einen Moment lang entschlossen, ihren Geist aufzugeben. »Er war ein netter Junge«, sagte Sam leise. »Wir sind oft zum Angeln gefahren, das war unsere große gemeinsame Sache. Ich hatte ein altes Boot, und wir verbrachten Stunden auf dem See und fingen Süßwasserbarsche und Brassen. Dann wuchs er heran und konnte mich nicht mehr ausstehen. Er schämte sich meiner, und das tat natürlich weh. Er erwartete, daß ich mich änderte, und ich erwartete, daß ihm ein Licht aufging wie allen anderen weißen Jungen in seinem Alter. Es ist nie passiert. Wir drifteten auseinander, als er in der High-School war. Um diese Zeit muß der Quatsch mit den Bürgerrechten angefangen haben, und danach gab es keine Hoffnung mehr.«
»Hat er sich in der Bewegung engagiert?«
»Nein. Er war doch nicht dumm. Er hat vielleicht mit ihr sympathisiert, aber er hielt den Mund. Man lief einfach nicht herum und hielt
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