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Die Kammer

Titel: Die Kammer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
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die Jahre angelogen hatte, weil er meinen Namen geändert hatte und davongelaufen war. Es war fürchterlich verwirrend für einen Jungen. Und das ist es immer noch.«
    »Bist du immer noch wütend?«
    »Eigentlich nicht. Ich neige eher dazu, mich an Eddies gute Seiten zu erinnern. Er war der einzige Vater, den ich je hatte, also weiß ich nicht, wie ich ihn einschätzen soll. Er trank und rauchte nicht, war kein Spieler, nahm keine Drogen, war nicht hinter anderen Frauen her und prügelte seine Kinder nicht. Es fiel ihm schwer, einen Job zu behalten, aber wir hatten immer etwas zu essen und ein Dach über dem Kopf. Er und Mutter redeten ständig über Scheidung, aber dazu ist es nie gekommen. Ein paarmal ist sie ausgezogen, dann zog er wieder aus. Es war ziemlich aufreibend, aber Carmen und ich haben uns schließlich daran gewöhnt. Er hatte seine dunklen Tage oder schlimmen Zeiten, wie wir sie nannten, wo er sich in sein Zimmer zurückzog, die Tür verschloß und die Jalousien herunterließ. Mutter rief uns zu sich und erklärte uns, er fühle sich nicht wohl, und wir sollten ganz leise sein. Kein Fernsehen oder Radio. Sie war sehr fürsorglich, wenn er sich zurückzog. Er konnte tagelang in seinem Zimmer bleiben und dann plötzlich wieder zum Vorschein kommen, als wäre nichts passiert. Wir lernten, mit Eddies schlimmen Zeiten zu leben. Sein Aussehen und seine Kleidung waren völlig normal. Er war fast immer da, wenn wir ihn brauchten. Wir spielten Baseball im Hinterhof und gingen zusammen auf den Rummelplatz. Er ist mehrmals mit uns nach Disneyland gefahren. Heute glaube ich, daß er ein guter Mann war, ein guter Vater, der einfach diese seltsame, dunkle Seite hatte, die manchmal zum Vorschein kam.«
    »Aber ihr habt euch nicht nahegestanden?«
    »Nein, das haben wir nicht. Er half mir bei den Schularbeiten und bestand auf erstklassigen Noten. Wir unterhielten uns über das Sonnensystem und die Umwelt, aber nie über Mädchen und Sam und Autos. Nie über Familienangehörige und Vorfahren. Es gab keinerlei Vertraulichkeiten. Er war kein herzlicher Mensch. Es gab Zeiten, wo ich ihn brauchte und er sich in seinem Zimmer eingeschlossen hatte.«
    Sam rieb sich die Augenwinkel, dann lehnte er sich mit aufgestützten Ellenbogen vor, bis sein Gesicht dicht am Gitter war, und sah Adam direkt an. »Was ist mit seinem Tod?« fragte er. »Was soll damit sein?«
    »Wie ist es passiert?«
    Adam legte eine lange Pause ein, bevor er antwortete. Er konnte die Geschichte auf verschiedene Arten erzählen. Er konnte grausam und haßerfüllt und brutal ehrlich sein und damit den alten Mann vernichten. Die Versuchung war groß. Es mußte getan werden, hatte er sich viele Male gesagt, Sam mußte leiden; er mußte ihm die Schuld an Eddies Tod um die Ohren hauen. Adam wollte dem alten Mistkerl richtig weh tun und ihn zum Weinen bringen.
    Aber gleichzeitig wollte er die Geschichte schnell erzählen, die schmerzhaften Teile hinter sich bringen und dann zu etwas anderem übergehen. Der alte Mann, der da auf der anderen Seite des Gitters saß, mußte auch so schon genug leiden. Die Regierung hatte vor, ihn in weniger als vier Wochen umzubringen. Adam vermutete ohnehin, daß er mehr über Eddies Tod wußte, als er vorgab.
    »Er machte eine schlimme Zeit durch«, sagte Adam. Er sah auf das Gitter, wich aber Sams Augen aus. »Er war drei Wochen lang in seinem Zimmer gewesen, was länger war als üblich. Mutter sagte uns immer wieder, es ginge ihm schon besser, nur noch ein paar Tage, dann würde er herauskommen. Wir glaubten ihr, weil er es immer abzuschütteln schien. Er suchte sich einen Tag aus, an dem sie bei der Arbeit war und Carmen im Haus einer Freundin, einen Tag, an dem er wußte, daß ich als erster nach Hause kommen würde. Ich fand ihn auf dem Fußboden meines Zimmers, mit der Waffe in der Hand, einer Achtunddreißiger. Ein Schuß durch die rechte Schläfe. Um seinen Kopf herum war eine runde Blutlache. Ich setzte mich auf die Kante meines Bettes.«
    »Wie alt warst du?«
    »Knapp siebzehn. In der ersten Klasse der High-School. Nur Einsen. Ich sah, daß er ein halbes Dutzend Handtücher auf den Boden gelegt und sich dann mitten auf ihnen niedergelassen hatte. Ich tastete nach dem Puls an seinem Handgelenk, aber er wurde bereits steif. Der Coroner hat gesagt, er wäre seit drei Stunden tot. Neben ihm lag ein Brief, säuberlich auf weißes Papier getippt. Die Anrede lautete›Lieber Adam.‹Darin stand, er liebe mich, und es täte ihm

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