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Die Kammer

Titel: Die Kammer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
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umgebracht.«
    »Bei einer Beerdigung?«
    »Ja. Früher waren Beerdigungen hier gesellschaftliche Ereignisse. Ihnen gingen lange Totenwachen voraus mit Unmengen von Besuchern und Essen. Und Alkohol. Das Leben war hart im ländlichen Süden, und Beerdigungen arteten oft in betrunkene Schlägereien aus. Nat war sehr gewalttätig, und direkt nach einem Gedenkgottesdienst fing er eine Schlägerei mit den falschen Männern an. Sie knüppelten ihn mit einem Stock Holz zu Tode.«
    »Wo war Sam?«
    »Mittendrin. Er wurde auch zusammengeschlagen, aber er überlebte. Ich war damals ein kleines Mädchen, und ich erinnere mich an Nats Beerdigung. Sam lag im Krankenhaus und konnte nicht daran teilnehmen.«
    »Hat er sich gerächt?«
    »Natürlich.«
    »Wie?«
    »Es wurde nie etwas bewiesen, aber ein paar Jahre später wurden die beiden Männer, die Nat erschlagen hatten, aus dem Gefängnis entlassen. Sie tauchten kurz hier auf, dann verschwanden sie. Eine Leiche wurde Monate später in Milburn County gefunden. Erschlagen natürlich. Der andere Mann ist nie gefunden worden. Die Polizei hat Sam und seine Brüder verhört, aber es gab keinerlei Beweise.«
    »Glaubst du, daß er es getan hat?«
    »Natürlich hat er es getan. Niemand legte sich damals mit den Cayhalls an. Man wußte, daß sie halb verrückt waren und bösartig wie der Teufel selbst.«
    Sie verließen die Stelle mit den Familiengräbern und wanderten weiter den Weg entlang. »Also, Adam, die Frage für uns ist, wo sollen wir Sam begraben?«
    »Ich finde, wir sollten ihn da drüben begraben, bei den Schwarzen. Das wäre nur recht und billig.«
    »Wie kommst du auf die Idee, daß sie ihn haben wollen?«
    »Gute Frage.«
    »Im Ernst.«
    »Sam und ich sind noch nicht an diesem Punkt angelangt.«
    »Glaubst du, daß er hier begraben werden möchte? In Ford County?«
    »Ich weiß es nicht. Wir haben noch nicht darüber gesprochen, aus naheliegenden Gründen. Noch besteht Hoffnung.«
    »Wieviel Hoffnung?«
    »Ein ganz klein wenig. Genug, um weiterzukämpfen.«
    Sie verließen den Friedhof zu Fuß und gingen eine ruhige Straße mit abgetretenen Gehsteigen und uralten Eichen entlang. Die Häuser waren gleichfalls alt, aber sauber gestrichen, mit langen Veranden und Katzen, die auf der Vortreppe schliefen, Kinder rasten auf Fahrrädern und Skateboards vorbei, und alte Leute saßen in ihren Schaukeln auf den Veranden und wiegten sich langsam hin und her. »Das ist das Revier meiner Kindheit, Adam«, sagte Lee, während sie ziellos herumwanderten. Ihre Hände steckten tief in den Taschen ihrer Jeans und ihre Augen wurden feucht von Erinnerungen, die gleichzeitig traurig und angenehm waren. Sie betrachtete jedes Haus, als hätte sie sich als Kind darin aufgehalten und könnte sich an die kleinen Mädchen erinnern, die ihre Freundinnen gewesen waren. Sie konnte das Kichern und Lachen hören, die albernen Spiele und die erbitterten Auseinandersetzungen von Zehnjährigen.
    »War es eine glückliche Zeit?« fragte Adam.
    »Ich weiß es nicht. Wir haben nie in der Stadt gewohnt, deshalb galten wir als Kinder vom Lande. Ich habe mich immer nach einem dieser Häuser gesehnt, mit Freundinnen ringsum und Geschäften ganz in der Nähe. Die Stadtkinder hielten sich für ein bißchen besser als wir, aber das war kein sonderliches Problem. Meine besten Freundinnen wohnten hier, und ich habe viele Stunden damit verbracht, auf diesen Straßen zu spielen und auf diese Bäume zu klettern. Ja, ich glaube, es war eine gute Zeit. Die Erinnerungen an das Haus auf dem Lande sind weniger erfreulich.«
    »Wegen Sam?«
    Eine alte Frau in geblümtem Kleid und mit einem großen Strohhut fegte gerade ihre Vortreppe. Sie warf einen Blick auf Lee, dann erstarrte sie und glotzte sie an. Lee verlangsamte ihren Schritt, dann blieb sie in der Nähe des zum Haus führenden Pfades stehen. Sie musterte die alte Frau, und die alte Frau musterte Lee. »Guten Morgen, Mrs. Langston«, sagte Lee freundlich.
    Mrs. Langston umklammerte den Besenstiel und richtete sich steif auf. Sie schien sich damit begnügen zu wollen, sie anzustarren.
    »Ich bin Lee Cayhall. Kennen Sie mich noch?«
    Als der Name Cayhall über das winzige Rasenstück tönte, ertappte Adam sich dabei, daß er sich umschaute, um festzustellen, ob noch jemand ihn gehört hatte. Er war darauf eingestellt, sich zu schämen, wenn der Name anderen Leuten zu Ohren kam. Falls Mrs. Langston sich an Lee erinnerte, so ließ sie es sich nicht anmerken. Sie brachte ein

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