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Die Kammer

Titel: Die Kammer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
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Akte Sam Cayhall. Sie blieb nicht lange geschlossen.
    Am 9. Juli 1990 annullierte das Oberste Bundesgericht Sams Aufschub. Am 10. Juli annullierte auch das BundesBezirksgericht Sams Aufschub, und noch am gleichen Tag setzte das Gericht des Staates Mississippi das Datum seiner Hinrichtung auf den 8. August, vier Wochen später, fest.
    Nach neun Jahren, in denen alle nur erdenklichen Rechtsmittel eingelegt worden waren, hatte Sam nun noch sechzehn Tage zu leben.
29
    E s war still und ruhig im Trakt, während ein weiterer Tag sich auf den Mittag hinschleppte. Die Kollektion unterschiedlicher Ventilatoren summte und rasselte in den winzigen Zellen und versuchte tapfer, Luft in Bewegung zu versetzen, die von Minute zu Minute stickiger wurde.
    Die Frühnachrichten im Fernsehen waren angefüllt gewesen mit aufgeregten Berichten darüber, daß Sam Cayhall seine jüngste juristische Schlacht verloren hatte. Slatterys Entscheidung wurde im ganzen Staat heraustrompetet, als wäre sie tatsächlich der letzte Nagel zu seinem Sarg. Ein Sender in Jackson setzte den Countdown fort, nur noch sechzehn Tage bis zur Hinrichtung. Tag sechzehn! stand in großen Buchstaben unter demselben alten Foto von Sam.
    Reporterinnen mit strahlenden Augen und dickem Makeup und ohne eine Spur juristischer Kenntnisse produzierten sich vor den Kameras mit unerschrockenen Vorhersagen: »Unseren Informationen zufolge sind Sam Cayhalls rechtliche Möglichkeiten praktisch erschöpft. Es wird allgemein angenommen, daß die Hinrichtung wie geplant am 8. August stattfinden wird.« Dann weiter zu Sport und Wetter.
    Es gab viel weniger Unterhaltungen im Todestrakt, weniger Rufe hin und her, weniger Kassiber, die von einer Zelle zur anderen weitergereicht wurden. Es stand eine Hinrichtung bevor.
    Sergeant Packer lächelte, als er durch Abschnitt A wanderte. Das Schimpfen und Meckern, das in so erheblichem Maße zu seinem Alltag gehörte, hatte fast völlig aufgehört. Jetzt drehten sich die Gedanken der Zelleninsassen nur um ihre Berufungen und ihre Anwälte. In den letzten Wochen war die häufigste Bitte gewesen, das Telefon benutzen und einen Anwalt anrufen zu dürfen.
    Packer freute sich keineswegs darauf, einer weiteren Hinrichtung beizuwohnen, aber er genoß die Stille. Und er wußte, daß sie nur vorübergehend war. Wenn Sam morgen ein Aufschub gewährt wurde, würde es sofort wieder sehr laut werden.
    Er trat vor Sams Zelle. »Draußenstunde, Sam.«
    Sam saß auf seinem Bett und tippte und rauchte wie gewöhnlich.
    »Wie spät ist es?« fragte er, stellte die Schreibmaschine neben sich und stand auf.
    »Elf.«
    Sam drehte Packer den Rücken zu und steckte die Hände durch die Öffnung in seiner Tür. Packer fesselte sie sorgfältig aneinander. »Wollen Sie allein hinaus?« fragte er.
    Sam drehte sich mit den Händen auf dem Rücken um. »Nein. Henshaw möchte mitkommen.«
    »Ich hole ihn«, sagte Packer, nickte Sam zu und deutete dann mit einem weiteren Nicken auf das Ende des Flurs. Die Tür glitt auf, und Sam folgte ihm langsam an den anderen Zellen vorbei. Alle Insassen lehnten mit herausbaumelnden Händen und Armen an den Gitterstäben, alle musterten Sam eingehend, als er vorüberging.
    Sie machten ihren Weg durch weitere Gitter und weitere Flure, und Packer schloß eine ungestrichene Metalltür auf. Sie führte ins Freie, und das Sonnenlicht brach herein. Sam haßte diesen Teil seiner Draußenstunde. Er trat aufs Gras und kniff die Augen fest zusammen, während Packer ihm die Handschellen abnahm, dann öffnete er sie langsam, damit sie sich dem schmerzhaften Gleißen der Sonne anpassen und er wieder klar sehen konnte.
    Packer verschwand wortlos im Gebäude, und Sam stand eine volle Minute auf derselben Stelle, während Lichter blitzten und sein Kopf dröhnte. Die Hitze machte ihm nichts aus, weil er ständig mit ihr lebte, aber das Sonnenlicht traf ihn wie ein Laserstrahl und löste jedesmal, wenn man ihm gestattete, aus seinem Verlies herauszukommen, heftige Kopfschmerzen aus. Er hätte sich ohne weiteres eine billige Sonnenbrille leisten können, ähnlich der, die Packer trug, aber das wäre natürlich zu vernünftig gewesen. Sonnenbrillen standen nicht auf der Liste der Gegenstände, die ein Insasse des Todestraktes besitzen durfte.
    Er wanderte unsicher über das gemähte Gras und schaute durch den Zaun auf die dahinterliegenden Baumwollfelder. Das Freigelände war nicht mehr als ein eingezäunter Platz aus Gras und nackter Erde mit zwei

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