Die Kammer
Von den neun Zeitungen, die sie inspizierte, brachten acht die Cayhall-Story auf der Titelseite. An diesem Samstagmorgen galt das besondere Interesse der geplanten Anhörung. Drei der Zeitungen brachten dasselbe Foto von den Klansmännern, wie sie vor den Toren von Parchman unter der sengenden Augustsonne schmorten.
McAllister zog sein Jackett aus, krempelte die Ärmel auf und begann, in den Zeitungen herumzublättern. »Holen Sie die Zahlen«, sagte er barsch.
Mona verließ das Büro und kehrte nach einer knappen Minute zurück. Sie hatte einen Computerausdruck bei sich, der offensichtlich unerfreuliche Neuigkeiten enthielt.
»Ich höre«, sagte er.
»Die Anrufe hörten gegen neun gestern abend auf, der letzte erfolgte um sieben Minuten nach neun. Insgesamt waren es vierhundertundsechsundachtzig Anrufe, und mindestens neunzig Prozent waren ganz eindeutig gegen die Hinrichtung.«
»Neunzig Prozent«, sagte McAllister ungläubig. Aber jetzt stand er nicht mehr unter Schock. Gestern gegen Mittag hatten die Hotlinebediener eine ungewöhnliche Zahl von Anrufen gemeldet, und um eins war Mona auch schon mit dem Analysieren der Computerausdrucke beschäftigt gewesen. Sie hatten den größten Teil des gestrigen Nachmittags damit verbracht, auf die Zahlen zu starren und über ihre nächsten Schritte nachzudenken. Der Gouverneur hatte kaum geschlafen.
»Wer sind diese Leute?« fragte er, zu einem Fenster hinaussehend.
»Ihre Wähler. Die Anrufe kommen von überall aus dem Staat. Die Namen und Telefonnummern scheinen echt zu sein.«
»Was war der bisherige Rekord?«
»Ich weiß nicht, aber ich glaube, wir hatten mal an die hundert an einem Tag, als die Abgeordneten ihre Diäten erhöhten. Aber nichts derartiges.«
»Neunzig Prozent«, murmelte er abermals.
»Und da ist noch etwas. Es gab Unmengen von Anrufen unter verschiedenen anderen Nummern hier im Büro. Meine Sekretärin hat ungefähr ein Dutzend entgegengenommen.«
»Alle für Sam, richtig?«
»Ja, alle gegen die Hinrichtung. Ich habe mit einigen von unseren Leuten gesprochen, und alle wurden gestern mit Anrufen überschüttet. Und Roxburgh hat mich gestern abend zu Hause angerufen und gesagt, daß auch sein Büro mit Anrufen gegen die Hinrichtung bombardiert worden ist.«
»Gut. Ist mir nur recht, daß er auch ins Schwitzen gerät.«
»Sollen wir die Hotline abschalten?«
»Wie viele Bediener arbeiten am Samstag und Sonntag?«
»Nur einer.«
»Nein. Halten Sie sie offen. Wir wollen wissen, was heute und morgen passiert.« Er trat an ein anderes Fenster und lockerte seine Krawatte. »Wann beginnt die Meinungsumfrage?«
»Heute nachmittag um drei.«
»Ich möchte die Zahlen unbedingt sehen.«
»Sie könnten genauso schlimm sein.«
»Neunzig Prozent«, sagte er kopfschüttelnd. »Über neunzig Prozent«, korrigierte Mona ihn.
Die Operationszentrale war übersät mit Pizzakartons und Bierdosen, die von einem langen Marktanalyse-Tag zeugten. Jetzt erwartete ein Tablett mit frischen Doughnuts und eine Reihe von hohen Pappbechern mit Kaffee die Marktforscher, von denen zwei gerade mit den Zeitungen eingetroffen waren. Garner Goodman stand am Fenster und beobachtete mit einem neuen Fernglas das drei Blocks entfernte Kapitol, wobei seine besondere Aufmerksamkeit den Fenstern des Gouverneursbüros galt. In einem Moment der Langeweile war er gestern auf der Suche nach einer Buchhandlung in ein Einkaufszentrum gegangen. Er hatte das Fernglas im Schaufenster eines Optikers entdeckt, und den ganzen Nachmittag hindurch hatte es ihm einen Heidenspaß gemacht, den Gouverneur dabei zu beobachten, wie er durch seine Fenster hinausschaute und sich zweifellos fragte, wo all diese verdammten Anrufe herkamen.
Die Studenten verschlangen die Doughnuts und die Zeitungen. Es gab eine kurze, aber ernsthafte Diskussion über einige unübersehbare Verfahrensmängel beim Rechtsschutz für bereits Verurteilte im Staate Mississippi. Um acht traf das dritte Mitglied des Teams ein, ein Erstsemester aus New Orleans, und die Anrufe begannen.
Es stellte sich sehr schnell heraus, daß die Hotline nicht so leistungsfähig war wie am Tag zuvor. Es war schwierig, einen Bediener zu erreichen. Kein Problem. Sie benutzten andere Nummern - die Zentrale in der Residenz des Gouverneurs, die Leitungen zu den kleinen Regionalbüros, die er mit großem Trara überall im Staate eingerichtet hatte, damit er, ein Mensch wie alle anderen, seinem Volk immer nahe war.
Dieses Volk rief nun an.
Goodman
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