Die Kammer
einen letzten Blick in den Raum. Der Vollstrecker griff nach einem Hebel. Die beiden Wärter rangelten um die beste Position, um zusehen zu können, wie der alte Bastard starb. Nugent und der stellvertretende Direktor und der Arzt drängten sich an der anderen Wand zusammen, schoben sich alle näher heran, alle besorgt, daß ihnen etwas entgehen könnte.
Die Außentemperatur von zweiunddreißig Grad kam Adam wesentlich kühler vor. Er ging zum Heck der Ambulanz und lehnte sich dagegen.
»Ist alles in Ordnung?«
»Nein.«
»Nehmen Sie es nicht zu schwer.«
»Sie sehen nicht zu?«
»Nein. Ich habe vier mit angesehen. Das reicht mir. Diese hier ist besonders schwierig.«
Adam starrte auf die weiße Tür in der Mitte der Ziegelsteinmauer. Drei Transporter parkten ganz in der Nähe. Einige Wärter standen neben ihnen, rauchten und flüsterten miteinander. »Ich möchte weg von hier«, sagte er. Er fürchtete wieder, sich übergeben zu müssen.
»In Ordnung.« Lucas ergriff seinen Ellenbogen und führte ihn zu dem vordersten Transporter. Er sagte etwas zu einem Wärter, der hineinsprang und sich ans Lenkrad setzte. Adam und Lucas setzten sich auf eine der Bänke.
Adam wußte, daß in genau diesem Augenblick sein Großvater in der Kammer saß und nach Atem rang, mit vom ätzenden Gas versengten Lungen. Gleich da drüben, in dem kleinen roten Ziegelsteinbau, gerade jetzt atmete er es ein, versuchte, so viel wie möglich zu schlucken, einfach wegzusacken in eine bessere Welt.
Er begann zu weinen. Der Wagen fuhr an den Freigeländen vorbei und über das Gras vor dem Todestrakt. Er schlug die Hände vor die Augen und weinte wegen Sam, wegen seines Leidens in diesem Augenblick, wegen der grauenhaften Art, auf die man ihn zu sterben zwang. Er hatte so mitleiderregend ausgesehen, wie er dasaß in seinen neuen Sachen, angeschnallt wie ein Tier. Er weinte wegen Sam und der letzten neuneinhalb Jahre, in denen er durch Gitterstäbe gestarrt und versucht hatte, einen Blick auf den Mond zu erhaschen, sich gefragt hatte, ob irgend jemand da draußen an ihn dachte. Er weinte wegen der ganzen erbärmlichen Familie Cayhall und ihrer elenden Geschichte. Und er weinte um seinetwillen, wegen seines Kummers in diesem Augenblick, des Verlustes eines geliebten Menschen, seiner Unfähigkeit, diesen Wahnsinn zu unterbinden.
Lucas klopfte ihm sanft auf die Schulter, und der Transporter rollte und hielt an, dann rollte er weiter und hielt abermals an. »Tut mir leid«, sagte er mehr als einmal.
»Ist das Ihr Wagen?« fragte Lucas, als sie vor dem Tor haltmachten. Der unbefestigte Parkplatz war nach wie vor bis auf den letzten Platz gefüllt. Adam riß die Tür auf und stieg ohne ein Wort aus. Bedanken konnte er sich später.
Er raste die Schotterstraße entlang, zwischen den Baumwollfeldern hindurch, bis er den Hauptfahrweg erreicht hatte. Er fuhr schnell zum Vordereingang, verlangsamte nur einmal kurz, als er um zwei Barrikaden herumsteuern mußte, dann hielt er am Tor an, damit ein Wärter einen Blick in seinen Kofferraum werfen konnte. Links von ihm stand der Schwärm der Reporter, begierig auf die neuesten Nachrichten aus dem Todestrakt. Die Kameras waren schußbereit.
Es war niemand in seinem Kofferraum, und er schlingerte um eine weitere Barrikade, wobei er beinahe einen Wärter umgefahren hätte, der nicht schnell genug beiseite sprang. Er hielt am Highway an und warf einen Blick nach rechts, auf die Mahnwache mit ihren brennenden Kerzen. Hunderten von Kerzen. Irgendwo ein Stück weiter unten wurde eine Hymne gesungen.
Er jagte davon, vorbei an Staatspolizisten, die herumstanden und die Atempause genossen. Er jagte an Wagen vorbei, die auf einer Strecke von zwei Meilen am Straßenrand parkten. Dann lag Parchman hinter ihm. Er gab Gas, und bald fuhr er neunzig Meilen.
Aus irgendeinem Grund fuhr er nach Norden, obwohl er nicht die Absicht hatte, nach Memphis zurückzukehren. Orte wie Tutwiler, Lambert, Marks, Sledge und Crenshaw flogen vorbei. Er kurbelte die Fenster herunter, und die warme Luft wirbelte um die Sitze. Die Windschutzscheibe war bepflastert mit großen Käfern und Insekten, der Pest des Deltas, wie er gehört hatte.
Er fuhr einfach, ohne ein bestimmtes Ziel. Diese Fahrt war nicht geplant gewesen. Er hatte keinen Gedanken darauf verschwendet, wohin er unmittelbar nach Sams Tod gehen würde, weil er nie wirklich geglaubt hatte, daß es soweit kommen würde. Er hätte in Jackson sein können, mit Garner Goodman und
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