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Die Kammer

Titel: Die Kammer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
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Hez Kerry trinken und feiern und sich vollaufen lassen, weil sie ein Kaninchen aus dem Hut gezogen hatten. Oder er hätte im Todestrakt sitzen können, immer noch am Telefon und verzweifelt versuchend, Genaueres über einen Aufschub in letzter Minute zu erfahren. Es wäre so vieles möglich gewesen.
    Er konnte es nicht riskieren, in Lees Wohnung zu gehen, weil sie womöglich tatsächlich dort war. Ihr nächstes Zusammentreffen würde sehr unerfreulich sein, und er zog es vor, es aufzuschieben. Er beschloß, sich ein Motel zu suchen und dort die Nacht zu verbringen. Zu schlafen versuchen. Erst morgen weiter zu überlegen, wenn die Sonne wieder schien. Er raste durch ein Dutzend Dörfer und kleine Orte, in denen nirgendwo ein Zimmer zu vermieten war. Er drosselte sein Tempo erheblich. Ein Highway führte zum nächsten. Er hatte sich verfahren, aber es störte ihn nicht. Wie kann man sich verirren, wenn man nicht weiß, wohin man will? Er erkannte Orte an Straßenschildern, bog in die eine Richtung ab und dann in die andere. Am. Rande von Hernanda, nicht weit von Memphis entfernt, erregte ein kleiner Supermarkt seine Aufmerksamkeit, der die ganze Nacht geöffnet hatte. Hinter dem Tresen stand eine Frau in mittleren Jahren mit kohlschwarzem Haar, rauchte, kaute Gummi und redete ins Telefon. Adam ging zum Bierkühler und holte ein Sechserpack heraus.
    »Tut mir leid, Mister, aber nach zwölf dürfen Sie kein Bier kaufen.«
    »Wie bitte?« fragte Adam, in die Tasche greifend.
    Ihr gefiel sein Ton nicht. Sie legte den Hörer bedächtig neben die Registrierkasse. »Wir dürfen hier nach Mitternacht kein Bier verkaufen. So lautet das Gesetz.«
    »Das Gesetz?«
    »Ja. Das Gesetz.«
    »Des Staates Mississippi?«
    »So ist es«, sagte sie knapp.
    »Wissen Sie, was ich im Augenblick von den Gesetzen dieses Staates halte?«
    »Nein. Und es interessiert mich auch nicht.«
    Adam warf einen Zehn-Dollar-Schein auf den Tresen und trug das Bier zu seinem Wagen. Sie sah ihm nach, dann steckte sie den Schein in ihre Tasche und kehrte zum Telefon zurück. Weshalb die Bullen rufen wegen einem Sechserpack Bier?
    Er war wieder unterwegs, auf einem zweispurigen Highway, blieb innerhalb der Geschwindigkeitsbegrenzung und kippte sein erstes Bier. Wieder unterwegs auf der Suche nach einem sauberen Zimmer mit Frühstück inklusive, Pool, Kabelanschluß, Pay-TV, Kinder wohnen umsonst.
    Fünfzehn Minuten zum Sterben, fünfzehn Minuten, um die Kammer zu lüften, zehn Minuten, um sie mit Ammoniak zu spülen. Den leblosen Körper, dem jungen Arzt und seinem EKG zufolge tot, zu besprühen, während Nugent hierhin und dorthin zeigte - holt die Gasmasken, holt die Handschuhe, setzt diese verdammten Reporter wieder in die Transporter und schafft sie von hier weg.
    Adam konnte Sam da drinnen sehen, mit zur Seite gesunkenem Kopf, immer noch von diesen gewaltigen Lederriemen gehalten. Welche Farbe hatte seine Haut jetzt? Bestimmt nicht die Papierblässe der letzten neuneinhalb Jahre. Bestimmt hatte das Gas seine Lippen purpurn und seine Haut rosa gefärbt. Die Kammer ist jetzt sauber, alles ist sicher. Betretet die Kammer, sagt Nugent, öffnet die Riemen. Nehmt die Messer. Schneidet die Kleidung herunter. Hat er sich in die Hose gemacht? Hat sich seine Blase entleert? Das passiert immer. Seid vorsichtig. Hier ist der Plastiksack. Stopft die Kleider hinein. Spritzt den nackten Körper ab.
    Adam konnte die neuen Sachen sehen - die steife Hose, die zu großen Schuhe, die sauberen weißen Socken. Sam war so stolz gewesen, wieder richtige Kleidung tragen zu können. Jetzt waren sie Lumpen in einem Müllsack, wurden behandelt wie Gift und würden bald von einem Vertrauenshäftling verbrannt werden.
    Wo sind die Sachen, die blaue Gefängnishose und das weiße T-Shirt? Holt sie. Geht in die Kammer. Zieht den Toten an. Schuhe braucht er nicht. Socken auch nicht. Schließlich wird er nur zum Bestattungsunternehmer gebracht. Soll sich die Familie den Kopf darüber zerbrechen, wie sie ihn für ein anständiges Begräbnis anziehen will. Jetzt die Tragbahre. Schafft ihn raus. In die Ambulanz.
    Adam war irgendwo in der Nähe eines Sees, fuhr über eine Brücke, durch eine Senke, und die Luft war plötzlich feucht und kühl. Wieder verirrt.
52
    D as erste Anzeichen des Sonnenaufgangs war ein rosa Glimmen über einem Hügel oberhalb von Clanton. Es sickerte durch die Bäume und färbte sie zuerst gelb und dann orangefarben. Es waren keine Wolken zu sehen, nur intensive Farben

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