Die Kammer
verstummt. Sie vermieden jeden Blickkontakt, als schämten sie sich, an einem so makabren Ereignis teilzunehmen.
Nugent blieb an der Tür zur Gaskammer stehen und konsultierte seine Checkliste. Es war elf Uhr vierzig. Er wies den Arzt an, sich in den Isolierraum zu begeben, dann ging er nach draußen und gab das Signal zum Räumen der vier Wachtürme, die den Hochsicherheitstrakt umgaben. Die Wahrscheinlichkeit, daß das nach der Hinrichtung entweichende Gas einem der Männer auf den Wachtürmen schaden konnte, war minimal, aber Nugent liebte Details.
Das Klopfen an der Tür war ganz leise, aber in diesem Moment hörte es sich an, als würde ein Schmiedehammer benutzt. Es zerriß die Stille, und sowohl Sam als auch Adam fuhren zusammen. Die Tür ging auf. Der junge Arzt kam herein, versuchte zu lächeln, ließ sich auf die Knie nieder und bat Sam, sein Hemd aufzuknöpfen. Ein rundes Stethoskop wurde an seiner bleichen Haut befestigt, mit einem kurzen Draht, der bis auf seinen Gürtel herabhing. Die Hände des Arztes zitterten. Er sagte nichts.
51
U m halb zwölf hörten Hez Kerry, Garner Goodman, John Bryan Glass und zwei seiner Studenten auf, sich zu unterhalten, und reichten sich an dem mit Papieren übersäten Tisch in Hez Kerrys Büro die Hände. Jeder sprach ein stummes Gebet für Sam Cayhall, dann sprach Hez eines für die Gruppe. Sie saßen auf ihren Stühlen, tief in Gedanken, tief in Schweigen, dann sprachen sie ein weiteres kurzes Gebet für Adam.
Das Ende kam rasch. Die Uhr, die während der letzten vierundzwanzig Stunden abwechselnd weite Sprünge gemacht hatte und dann wieder fast stehengeblieben war, stürmte plötzlich voran.
Nachdem der Arzt gegangen war, unterhielten sie sich ein paar Minuten lang nervös über belanglose Dinge, während Sam zweimal den kleinen Raum durchwanderte und ihn abmaß; dann lehnte er sich an die Wand gegenüber dem Bett. Sie sprachen über Chicago, über Kravitz & Bane, und Sam konnte sich nicht vorstellen, wie dreihundert Anwälte nebeneinander in ein und demselben Gebäude existieren konnten. Es gab ein oder zwei zittrige Lacher, und ein paarmal lächelten sie angespannt, während sie auf das nächste, gefürchtete Anklopfen warteten.
Es kam um genau elf Uhr fünfundfünfzig. Drei harte Schläge, dann eine lange Pause. Nugent wartete, bevor er hereinkam.
Adam sprang sofort auf. Sam tat einen tiefen Atemzug und biß die Zähne zusammen. Er deutete mit einem Finger auf Adam. »Hör zu«, sagte er fest. »Du kannst mit mir da hineingehen, aber du darfst nicht bleiben.«
»Ich weiß. Ich will auch nicht bleiben, Sam.«
»Gut.« Der gekrümmte Finger sank herab, die Kiefer entspannten sich, das Gesicht sackte herunter. Sam streckte die Arme aus und ergriff Adam bei den Schultern. Adam zog ihn an sich und umarmte ihn sanft.
»Sag Lee, daß ich sie liebe«, sagte Sam mit brechender Stimme. Er löste sich von Adam und sah ihm in die Augen. »Sag ihr, ich habe bis ganz zum Schluß an sie gedacht. Und ich bin nicht wütend auf sie, weil sie nicht gekommen ist. Ich würde auch nicht hierherkommen wollen, wenn ich es nicht müßte.«
Adam nickte heftig und bemühte sich, nicht zu weinen. Was immer du willst, Sam, was immer du willst.
»Grüß deine Mutter. Ich habe sie immer gemocht. Und natürlich Carmen, sie ist ein prächtiges Mädchen. Mir tut das alles so leid, Adam. Es ist ein grauenhaftes Vermächtnis, das ihr mit euch herumschleppen müßt.«
»Wir werden es schon schaffen.«
»Ich weiß, daß ihr das tut. Ich werde als ein sehr stolzer Mann sterben, deinetwegen.«
»Du wirst mir fehlen«, sagte Adam, und jetzt rollten ihm die Tränen über die Wangen.
Die Tür ging auf, und der Colonel trat ein. »Es ist soweit, Sam«, sagte er im Tonfall tiefer Trauer.
Sam zeigte ihm ein tapferes Lächeln. »Bringen wir es hinter uns!« sagte er mit kräftiger Stimme. Nugent ging als erster, dann Sam, dann Adam. Sie betraten den Kammerraum, der voller Menschen war. Alle starrten Sam an und wendeten dann sofort den Blick ab. Sie schämen sich, dachte Adam. Schämen sich, dabeizusein und teilzuhaben an dieser schlimmen kleinen Tat. Sie alle konnten ihm nicht in die Augen sehen.
Monday, der Vollstrecker, und sein Gehilfe standen, flankiert von zwei uniformierten Wärtern an der an den Chemieraum angrenzenden Wand. Lucas Mann und ein stellvertretender Direktor warteten in der Nähe der Tür. Rechts, direkt neben ihnen, hantierte der Arzt mit seinem EKG und versuchte, einen
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