Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Kammer

Titel: Die Kammer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
Vom Netzwerk:
vor dem dunklen Himmel.
    Im Gras standen zwei ungeöffnete Bierdosen. Drei leere Dosen lagen vor einem nahen Grabstein. Die erste leere Dose lag noch im Wagen.
    Der Tag brach an. Die Reihen der anderen Grabsteine warfen Schatten auf ihn, und wenig später kam hinter den Bäumen die Sonne hervor.
    Er hatte mehrere Stunden hier gesessen, obwohl ihm jedes Gespür für Zeit abhanden gekommen war. Jackson und Richter Slatterys Anhörung schienen Jahre entfernt. Sam war erst vor Minuten gestorben. War er wirklich tot? Hatten sie ihr schmutziges Werk bereits getan? Die Zeit spielte ihm immer noch Streiche.
    Er hatte kein Motel gefunden, aber er hatte auch nicht besonders eifrig danach gesucht. Er hatte sich in der Nähe von Clanton wiedergefunden, dann hatte es ihn hierher gezogen, zum Grab von Anna Gates Cayhall. Jetzt lehnte er an ihrem Grabstein. Er hatte das warme Bier getrunken und die Dosen gegen den größten Stein in Reichweite geworfen. Wenn die Polizei ihn hier fand und ihn ins Gefängnis steckte, würde es ihm nichts ausmachen. Er war schon mal in einer Zelle gewesen. »Ja, ich komme gerade aus Parchman«, würde er zu seinen Zellengenossen, den anderen Kriminellen, sagen. »Direkt aus dem Todestrakt.« Und daraufhin würden sie ihn in Ruhe lassen.
    Offensichtlich war die Polizei anderweitig beschäftigt. Auf dem Friedhof war er sicher. Neben der Grabstelle seiner Großmutter steckten vier rote Fähnchen im Boden. Adam bemerkte sie, als im Osten die Sonne höher stieg. Ein weiteres Grab, das ausgehoben werden sollte.
    Irgendwo hinter ihm klappte eine Autotür, aber er hörte es nicht. Eine Gestalt kam auf ihn zu, aber er spürte es nicht. Sie bewegte sich langsam, suchte den Friedhof ab, hielt ängstlich nach etwas Ausschau.
    Das Knacken eines Astes schreckte Adam auf. Lee stand neben ihm, mit der Hand auf dem Grabstein ihrer Mutter. Er sah sie an, dann wandte er den Blick ab.
    »Was machst du hier?« fragte er, zu benommen, um überrascht zu sein.
    Sie ließ sich behutsam zuerst auf die Knie nieder, dann setzte sie sich dicht neben ihn, so daß ihr Rücken an dem eingemeißelten Namen ihrer Mutter ruhte. Sie schlang ihren Arm um seinen Ellenbogen.
    »Wo zum Teufel hast du gesteckt, Lee?«
    »Ich war in Behandlung.«
    »Verdammt noch mal, du hättest anrufen können.«
    »Sei nicht wütend, Adam, bitte. Ich brauche einen Freund.«
    Sie lehnte den Kopf an seine Schulter.
    »Ich bin nicht sicher, daß ich dein Freund bin, Lee. Was du getan hast, war gemein.«
    »Er wollte mich sehen, stimmt's?«
    »Ja, das wollte er. Aber du warst natürlich in deiner eigenen kleinen Welt versunken, wie gewöhnlich ausschließlich mit dir selbst beschäftigt. Nicht die Spur eines Gedankens für andere.«
    »Bitte, Adam. Ich war in Behandlung. Du weißt, wie schwach ich bin. Ich brauche Hilfe.«
    »Dann beschaff sie dir.«
    Sie bemerkte die beiden Bierdosen, und Adam warf sie rasch beiseite. »Ich trinke nicht«, sagte sie kläglich. Ihre Stimme war traurig und hohl, ihr hübsches Gesicht erschöpft und faltig. »Ich habe versucht, ihn zu sehen«, sagte sie.
    »Wann?«
    »Gestern abend. Ich bin nach Parchman gefahren. Sie haben mich nicht hineingelassen. Sagten, es wäre zu spät.«
    Adam senkte den Kopf und war sofort erheblich weicher gestimmt. Er würde nichts damit erreichen, wenn er sie beschimpfte. Sie war Alkoholikerin, mußte ständig gegen Dämonen ankämpfen, die ihm hoffentlich nie begegnen würden.
    Und sie war seine Tante, seine geliebte Lee. »Er hat bis ganz zuletzt nach dir gefragt. Er hat mir aufgetragen, dir zu sagen, daß er dich liebt und daß er nicht wütend auf dich ist, weil du nicht gekommen bist und ihn besucht hast.«
    Sie fing an, leise zu weinen. Mit dem Handrücken wischte sie sich die Wangen ab und weinte lange Zeit.
    »Er ist mit sehr viel Mut und Würde hineingegangen«, sagte Adam. »Er war sehr tapfer. Er sagte, er hätte seinen Frieden mit Gott gemacht und haßte niemanden mehr. Er hat all die Dinge bereut, die er getan hat. Er war ein Champion, Lee, ein Kämpfer, der bereit war, den nächsten Schritt zu tun.«
    »Weißt du, wo ich gewesen bin?« fragte sie zwischen Schluchzern, als hätte sie nichts von dem gehört, was er gesagt hatte.
    »Nein. Wo?«
    »Ich war bei unserem früheren Haus. Ich bin gestern abend von Parchman aus hingefahren.«
    »Weshalb?«
    »Weil ich es in Brand stecken wollte. Und es hat wundervoll gebrannt. Das Haus und das Unkraut rings herum. Ein riesiges Feuer. Alles ist in

Weitere Kostenlose Bücher