Die Kammer
erstarrt dastand, kam aus der kleinen Gruppe auf dem Boden ein seltsames Geräusch. Marvin heulte, aber es war das schrille Geheul eines verwundeten Wahnsinnigen. Es war ein furchtbares Geräusch, ein paar grauenhafte Sekunden lang, und dann folgte auf dem Video die nächste Szene.
Adam hatte Tränen in den Augen gehabt, als er zum erstenmal gesehen hatte, wie Marvin auf dem Boden landete, stöhnend und heulend, und obwohl die Bilder und Geräusche ihm immer noch die Kehle zuschnürten, hatte er schon vor langer Zeit aufgehört zu weinen. Das Video war sein Werk. Niemand außer ihm hatte es je gesehen. Und er hatte es sich so oft angeschaut, daß Tränen nicht mehr möglich waren.
Von 1968 bis 1981 machte die Technologie gewaltige Fortschritte, und die Aufzeichnungen von Sams drittem und letztem Prozeß waren wesentlich schärfer und klarer. Es war Februar 1981, in einem hübschen Städtchen mit einem belebten Platz und einem Gerichtsgebäude aus roten Backsteinen. Die Luft war bitter kalt, und vie lleicht war das der Grund dafür, daß die Massen von Zuschauern und Demonstranten diesmal ausblieben. In einer Reportage vom ersten Verhandlungstag gab es einen kurzen Schwenk auf drei vermummte Klansmänner, die sich um ein tragbares Heizgerät drängten, sich die Hände rieben und eher wie Karnevalsbesucher aussahen als wie ernstzunehmende Unruhestifter. Sie wurden von einem runden Dutzend Staatspolizisten bewacht, alle in blauen Jacken.
Da man zu jener Zeit in der Bürgerrechtsbewegung mehr ein historisches Ereignis als einen fortdauernden Kampf sah, zog der dritte Prozeß gegen Sam Cayhall ein größeres Medienaufgebot an als die ersten beiden. Hier war ein Mann, der zugegeben hatte, daß er dem Klan angehörte, ein richtiggehender Terrorist aus der fernen Vergangeneit der Freedom Riders und der Bombenanschläge auf Kirchen; ein Relikt aus diesen finsteren Zeiten, das man jetzt aufgespürt und vor Gericht gestellt hatte. Die Analogie zu den NaziKriegsverbrechern wurde mehr als nur einmal aufs Tapet gebracht.
Sam war während seines letzten Prozesses nicht in Haft. Er blieb ein freier Mann, und seine Freiheit machte es noch schwerer, ihn vor die Kamera zu bekommen. Es gab kurze Aufnahmen, wie er in verschiedene Räume des Gerichtsgebäudes eilte. Sam war gut gealtert in den dreizehn Jahren, die seit dem zweiten Prozeß vergangen waren. Das Haar war immer noch kurz und ordentlich, aber jetzt grau durchwachsen. Er schien ein wenig dicker geworden zu sein, wirkte aber immer noch fit. Mit flinken Schritten bewegte er sich die Gehsteige entlang und stieg behende in Autos oder aus ihnen heraus, immer von den Medien verfolgt. Eine Kamera erfaßte ihn, als er aus einer Nebentür des Gerichtsgebäudes trat, und Adam hielt das Band genau in dem Moment an, in dem Sam direkt in die Kamera schaute.
Im Mittelpunkt eines großen Teils des Filmmaterials vom dritten und letzten Prozeß stand ein forscher junger Staatsanwalt namens David McAllister, ein gutaussehender Mann, der dunkle Anzüge trug und ein allzeitbereites Lächeln mit einwandfreien Zähnen. Es konnte kaum ein Zweifel daran bestehen, daß McAllister politische Ambitionen hatte. Er hatte das Aussehen dazu, das Haar, das Kinn, die volle Stimme, die glatten Worte, die Fähigkeit, Kameras auf sich zu ziehen.
1989, acht kurze Jahre nach dem Prozeß, wurde David McAllister zum Gouverneur des Staates Mississippi gewählt. Zu niemandes Überraschung waren die Hauptanliegen seines Wahlkampfes mehr Gefängnisse gewesen, längere Verurteilungen und eine unerschütterliche Befürwortung der Todesstrafe. Adam verabscheute ihn, wußte aber, daß er binnen weniger Wochen, vielleicht sogar Tage, im Büro des Gouverneurs in Jackson, Mississippi, sitzen und um eine Begnadigung bitten würde.
Das Video endete damit, daß Sam, abermals in Handschellen, aus dem Gerichtsgebäude geführt wurde, nachdem die Geschworenen ihn zum Tode verurteilt hatten. Seine Miene war ausdruckslos. Sein Anwalt schien unter Schock zu stehen und gab ein paar belanglose Bemerkungen von sich. Der Reporter endete mit der Meldung, daß Sam an einem der nächsten Tage in den Todestrakt verbracht werden würde.
Adam drückte auf den Rückspulknopf und starrte auf den leeren Bildschirm. Hinter dem lehnenlosen Sofa standen drei Pappkartons, die den Rest der Geschichte enthielten: die umfangreichen Protokolle aller drei Prozesse, die Adam erstanden hatte, während er in Pepperdine studierte; Kopien der Anträge und
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