Die Kammer
zusahen, Fotos machten und Fragen riefen. Er drehte sich nur einmal zu ihren Stimmen um, und wie immer hielt Adam das Band an und starrte zum millionstenmal in das Gesicht seines Großvaters. Das Bild war schwarzweiß und nicht scharf, aber immer trafen sich ihre Blicke.
Neunzehnhundertsiebenundsechzig. Wenn Sam sechsundvierzig war, dann war Eddie damals vierundzwanzig und Adam fast drei Jahre alt. Damals hieß er Alan. Alan Cayhall, wenig später Einwohner eines anderen Staates, in dem ein Richter ihm per Dekret einen neuen Namen verlieh. Beim Anschauen des Videos hatte er sich oft gefragt, wo er in dem Augenblick gewesen sein mochte, in dem die Kramer-Zwillinge starben: um 7.46 Uhr am 21. April 1967.
Seine Eltern wohnten damals in einem kleinen Haus in Clanton, und wahrscheinlich hatte er noch geschlafen, unter den wachsamen Augen seiner Mutter. Er war fast drei, und die Kramer-Zwillinge waren erst fünf Jahre alt.
Das Video zeigte weitere kurze Aufnahmen von Sam, der in verschiedene Gefängnisse und Gerichtsgebäude hinein- oder aus ihnen herausgeführt wurde. Er trug immer Handschellen und hatte sich angewöhnt, den Blick ungefähr einen Meter vor sich auf den Boden zu richten. Sein Gesicht war ausdruckslos. Er sah nie die Reporter an, ging nie auf ihre Fragen ein, sagte nie ein Wort. Er bewegte sich schnell, schoß aus Türen heraus und in wartende Wagen.
Das Spektakel der ersten beiden Prozesse war mit täglichen Fernsehreportagen eingehend dokumentiert worden. Im Laufe der Jahre war es Adam gelungen, den größten Teil der Aufzeichnungen in die Hand zu bekommen, und er hatte das Material sorgfältig zusammengestellt. Da war das großmäulige Gesicht von Clovis Brazelton, Sams Anwalt, der sich keine Gelegenheit zu einem Auftritt vor der Presse entgehen ließ. Aber Adam hatte im Laufe der Zeit die meisten Aufnahmen von Brazelton herausgeschnitten. Er verabscheute den Mann. Es gab klare Schwenks über die Rasen vor den Gerichtsgebäuden, mit den Mengen der schweigenden Zuschauer, der schwerbewaffneten Staatspolizei und den Männern des KuKlux-Klan in ihren Kutten, mit kegelförmigen Kapuzen und unheimlichen Masken. Es gab kurze Aufnahmen von Sam, immer voller Hast, immer den Kameras ausweichend, indem er einen stämmigen Deputy als Schild benutzte. Nach dem zweiten Prozeß und der zweiten gescheiterten Jury hielt Marvin Kramer in seinem Rollstuhl auf dem Gehsteig vor dem Gericht von Wilson County an und verurteilte mit bitteren Worten und Tränen in den Augen Sam Cayhall und den Ku-Klux-Klan und das viel zu eng gefaßte Rechtssystem von Mississippi. Dann kam es vor laufenden Kameras zu einem erbarmungswürdigen Zwischenfall. Marvin entdeckte plötzlich nicht weit von ihm entfernt zwei Klansmänner in ihren Kutten und begann, sie anzuschreien. Einer von ihnen schrie etwas zurück, aber seine Antwort ging in der Hektik des Augenblicks unter. Adam hatte alles Erdenkliche versucht, um die Antwort des Klansmannes wieder hörbar zu machen, aber ohne Erfolg. Die Antwort würde für immer unverständlich bleiben. Ein paar Jahre zuvor, noch während seines Studiums in Michigan, war es Adam gelungen, einen der Lokalreporter ausfindig zu machen, der damals dort gewesen war und nicht weit von Marvins Gesicht entfernt ein Mikrofon in der Hand gehalten hatte. Diesem Reporter zufolge hatte die Antwort von jenseits des Rasens etwas zu tun gehabt mit dem Wunsch, Marvin auch die restlichen Gliedmaßen abzureißen. Irgend etwas in dieser gemeinen und grausamen Art mußte es gewesen sein, denn Marvin drehte durch. Er kreischte den davonschlendernden Kluxern Obszönitäten zu und trieb die Metallräder seines Rollstuhls an, um ihnen zu folgen. Er brüllte und fluchte und weinte. Seine Frau und ein paar Freunde versuchten, ihn zurückzuhalten, aber er riß sich los, und seine Hände bearbeiteten wie besessen die Räder. Er rollte ungefähr sechs Meter, gefolgt von seiner Frau, während die Kame ra alles festhielt, bis der Gehsteig endete und der Rasen begann. Der Rollstuhl kippte um, und Marvin stürzte auf den Rasen. Die Decke über seinen amputierten Beinen löste sich, und er rollte bis dicht an einen Baum heran. Seine Frau und seine Freunde waren sofort bei ihm, und ein oder zwei Augenblicke lang war er in einer kleinen Gruppe verschwunden. Aber man konnte ihn immer noch hören. Als die Kamera herumschwenkte und eine kurze Aufnahme von den beiden Klansmännern machte, von denen sich der eine vor Lachen bog und der andere wie
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