Die Kammer
Entscheidungen aus dem Berufungskrieg, der seit Sams Verurteilung tobte; ein dicker Ordner mit einem ausführlichen Register, der Kopien von Hunderten von Zeitungs- und Zeitschriftenstories über Sams Abenteuer als Angehöriger des Klans enthielt; Material und Recherchen über die Todesstrafe; Notizen aus dem Studium. Er wußte mehr über seinen Großvater als irgend jemand sonst.
Dennoch wußte Adam, daß er nicht einmal die Oberfläche angekratzt harte. Er drückte auf einen anderen Knopf und sah sich das Video noch einmal an.
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D ie Beerdigung von Eddie Cayhall fand einen knappen Monat nach Sams Verurteilung statt. Der Trauergottesdienst, an dem nur wenige Freunde und noch weniger Familienangehörige teilnahmen, wurde in einer kleinen Kapelle in Santa Monica abgehalten. Adam saß in der vordersten Bank zwischen seiner Mutter und seiner Schwester. Sie hielten sich bei den Händen und starrten auf den nur wenige Zentimeter von ihnen entfernten, geschlossenen Sarg. Seine Mutter war wie immer steif und stoisch ruhig. Gelegentlich traten ihr Tränen in die Augen, und sie war gezwungen, sie mit einem Taschentuch abzutupfen. Sie und Eddie hatten sich so oft getrennt und wieder versöhnt, daß die Kinder nicht mehr wußten, wessen Kleidungsstücke wo waren. Obwohl es in ihrer Ehe nie zu wirklich heftigen Auseinandersetzungen gekommen war, war eine Scheidung immer in greifbarer Nähe gewesen - Androhungen einer Scheidung, Pläne für eine Scheidung, ernste Gespräche mit den Kindern über eine Scheidung, Verhandlungen über eine Scheidung, Einreichen einer Scheidungsklage, Zurückziehen der Scheidungsklage, Schwüre, eine Scheidung auf jeden Fall zu vermeiden. Während des dritten Prozesses gegen Sam Cayhall brachte Adams Mutter ihre Habe ohne viel Aufhebens wieder in ihr kleines Haus und hielt sich so oft wie möglich in Eddies Nähe auf. Eddie hörte auf zu arbeiten und zog sich wieder einmal in seine dunkle kleine Welt zurück. Adam löcherte seine Mutter mit Fragen, aber sie erklärte nur mit ein paar kurzen Worten, daß Eddie wieder »eine schlimme Zeit« hätte.
Die Vorhänge wurden zugezogen, die Jalousien geschlossen, die Lampenstecker herausgezogen, die Stimmen gedämpft und der Fernseher ausgeschaltet, während die Familie eine weitere von Eddies schlimmen Zeiten durchstand.
Drei Wochen nach der Verurteilung war er tot. Er erschoß sich in Adams Zimmer, an einem Tag, an dem er wußte, daß Adam als erster nach Hause kommen würde. In einem Brief, den er auf den Fußboden gelegt hatte, gab er Adam Anweisungen, sich zu beeilen und das Zimmer wieder sauberzumachen, bevor die Frauen nach Hause kamen. Ein weiterer Brief wurde in der Küche gefunden.
Carmen war damals vierzehn, drei Jahre jünger als Adam. Sie war in Mississippi gezeugt worden, aber erst nach der hastigen Flucht ihrer Eltern in Kalifornien zur Welt gekommen. Als sie geboren wurde, hatte Eddie den Namen seiner kleinen Familie offiziell von Cayhall in Hall geändert. Aus Alan war Adam geworden. Sie lebten im Osten von Los Angeles in einer Dreizimmerwohnung mit schmutzigen Gardinen an den Fenstern. Adam erinnerte sich an die Gardinen und die Löcher darin. Es war die erste von vielen zeitweiligen Unterkünften.
Neben Carmen auf der ersten Bank saß eine mysteriöse Frau, die Tante Lee hieß. Adam und Carmen hatten gerade erfahren, daß sie Eddies Schwester war. Als Kinder war ihnen beigebracht worden, keine Fragen über ihre Familie zu stellen, aber Lees Name war gelegentlich gefallen. Sie wohnte in Memphis, hatte dort irgendwann in eine reiche Familie eingeheiratet, hatte ein Kind und wollte wegen irgendeines alten Streits nichts mit Eddie zu tun haben. Die Kinder, vor allem Adam, hatten sich nach einem oder einer Verwandten gesehnt, und da Lee die einzige Person war, die jemals erwähnt wurde, beschäftigte sie ausgiebig ihre Fantasie. Sie wollten sie kennenlernen, aber Eddie lehnte immer ab, weil sie, wie er behauptete, kein netter Mensch sei. Aber ihre Mutter flüsterte ihnen zu, daß sie in Wirklichkeit sehr nett wäre und daß sie eines Tages mit ihnen nach Memphis fahren würde, damit sie sie kennenlernen konnten.
Statt dessen machte Lee die Reise nach Kalifornien, und zusammen begruben sie Eddie Hall. Nach der Beerdigung blieb sie zwei Wochen und freundete sich mit ihrer Nichte und ihrem Neffen an. Sie liebten sie, weil sie hübsch und cool war, immer Blue jeans und Blusen trug und am Strand barfuß ging. Sie nahm sie zum Einkaufen mit und
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