Die Kammer
könnte der fünfte sein. Wie dem auch sei, Garner vertrat Maynard Töle, und wir lernten uns gut kennen. Er ist ein echter Gentleman und ein hervorragender Anwalt.«
»Danke«, sagte Adam, weil ihm sonst nichts einfiel.
»Ich persönlich hasse Hinrichtungen.«
»Sie sind gegen die Todesstrafe?«
»Meistens. Genaugenommen ist das bei mir immer von der jeweiligen Phase abhängig. Jedesmal, wenn wir hier jemanden umbringen, glaube ich, daß die ganze Welt verrückt geworden ist. Dann lasse ich mir einen dieser Fälle wieder durch den Kopf gehen und erinnere mich daran, wie brutal und grauenhaft manche dieser Verbrechen waren. Meine erste Hinrichtung war Teddy Doyle Merks, ein Herumtreiber, der einen kleinen Jungen vergewaltigt, verstümmelt und umgebracht hat. Niemand hier war sonderlich betrübt, als er in die Gaskammer mußte. Ich könnte Ihnen stundenlang solche Geschichten erzählen. Vielleicht haben wir später einmal Zeit dafür, okay?«
»Natürlich«, sagte Adam ohne eine Spur von Begeisterung. Er konnte sich nicht vorstellen, daß ihm jemals daran gelegen sein sollte, Geschichten über gemeine Mörder und ihre Hinrichtung zu hören.
»Ich habe Garner gesagt, daß Sie meiner Meinung nach keine Besuchserlaubnis bekommen dürften. Er hörte eine Weile zu, dann erklärte er, ziemlich vage, wie ich sagen muß, daß bei Ihnen vielleicht eine besondere Situation vorläge und daß ich zumindest einen Besuch zulassen sollte. Er wollte nicht sagen, was das Besondere daran ist, verstehen Sie, was ich meine?« Bei diesen Worten rieb sich Lucas das Kinn, als hätte er das Rätsel fast gelöst. »Unsere Vorschriften sind ziemlich streng, besonders die für den Hochsicherheitstrakt. Aber der Direktor wird alles tun, um was ich ihn bitte.« Das sagte er sehr langsam, und die Worte hingen in der Luft.
»Ich - äh - ich muß ihn unbedingt sehen«, sagte Adam mit fast brechender Stimme.
»Nun, er braucht einen Anwalt. Offen gestanden, ich bin froh, daß Sie hier sind. Wir haben noch nie jemanden hingerichtet, ohne daß sein Anwalt zugegen war. Es gibt bis zur letzten Minute alle möglichen juristischen Manöver, und mir ist einfach wohler, wenn Sam einen Anwalt hat.« Er ging um den Schreibtisch herum und setzte sich auf einen Stuhl auf der anderen Seite. Er schlug eine Akte auf und betrachtete ein Blatt Papier. Adam wartete und versuchte, normal zu atmen.
»Wir beschäftigen uns eingehend mit dem Hintergrund unserer zum Tode Verurteilten«, sagte Lucas, immer noch in seine Akte schauend. »Insbesondere, wenn die Berufungsverfahren abgeschlossen sind und die Hinrichtung näher rückt. Wissen Sie etwas über Sams Angehörige?«
Der Knoten in Adams Magen fühlte sich plötzlich an wie ein Baseball. Er schaffte es, gleichzeitig mit den Schultern zu zucken und den Kopf zu schütteln, als wollte er sagen, daß er nichts wußte.
»Haben Sie vor, mit Sams Angehörigen zu sprechen?«
Wieder keine Antwort, sondern nur dasselbe alberne Zucken mit den Schultern, sehr schweren Schultern in diesem Moment.
»Ich meine, normalerweise gibt es in solchen Fällen, wenn die Hinrichtung näher rückt, eine Menge Besuche von Angehörigen. Wahrscheinlich wollen Sie sich mit diesen Leuten in Verbindung setzen. Sam hat eine Tochter in Memphis, eine Mrs. Lee Booth. Ich habe die Adresse, wenn Sie sie haben möchten.« Lucas beobachtete ihn argwöhnisch. Adam konnte sich nicht rühren. »Sie kennen sie wohl nicht, oder?«
Adam schüttelte den Kopf, sagte aber nichts.
»Sam hatte einen Sohn, Eddie Cayhall, aber der arme Kerl hat 1981 Selbstmord begangen. Lebte in Kalifornien. Eddie hinterließ zwei Kinder, einen Sohn, der am 12. Mai 1964 in Clanton, Mississippi, geboren wurde, was meinem Juristenverzeichnis von Martindale-Hubbell zufolge auch Ihr Geburtstag ist. Dort steht, daß Sie am selben Tag in Memphis geboren wurden. Außerdem hinterließ Eddie eine Tochter, die in Kalifornien zur Welt kam. Das sind Sams Enkelkinder. Ich werde versuchen, mich mit ihnen in Verbindung zu setzen, wenn Sie...«
»Eddie Cayhall war mein Vater«, platzte Adam heraus, dann holte er tief Luft. Er sackte auf dem Stuhl zusammen und starrte auf die Schreibtischplatte. Sein Herz hämmerte wie wahnsinnig, aber wenigstens konnte er wieder atmen. Seine Schultern fühlten sich plötzlich leichter an. Er schaffte sogar ein kleines Lächeln.
Manns Gesicht war ausdruckslos. Er dachte eine lange Minute nach, dann sagte er mit einem Anflug von Genugtuung: »Das habe ich
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