Die Kampagne
Sie mich Ihnen die Wahrheit sagen. Möchten Sie das?«
Anna traten Tränen in die Augen. Sie wischte sie mit der Hand weg und riss sich zusammen.
»Wenn Sie mir etwas zu sagen haben, dann los. Aber ich werde selbst entscheiden, ob es wahr ist oder nicht.«
Frank lachte und nickte dann. »Das ist nur recht und billig.« Er beugte sich vor und legte den Kopf zur Seite, sodass sie das Loch in seinem Nacken sehen konnte. »Sehen Sie das? Das habe ich einer Kugel zu verdanken, die Shaw mir ins Hirn gejagt hat, als ich versucht habe, ihn zu verhaften.«
Anna schaute ihn kalt an. »Ihn verhaften? Für was?«
»Das ist streng geheim. Aber es ging nicht um unbezahlte Parktickets, so viel kann ich Ihnen sagen. Seitdem ich mich wieder erholt hatte und wir ihn gestellt haben, arbeitet er für uns.«
»Er arbeitet für Sie? Nachdem er Sie fast umgebracht hat? Sie haben gesagt, Sie wollten ihn verhaften. Wenn er ein Krimineller ist und auf Sie geschossen hat, warum sitzt er dann nicht im Knast?«
Frank hielt eine Zigarre hoch. »Macht es Ihnen etwas aus, wenn ich rauche?«
» Ja .«
Er steckte die Zigarre wieder weg. »In meiner Welt gibt es keine eindeutige Trennung zwischen Gut und Böse, Richtig oder Falsch. Shaw säße jetzt auch im Gefängnis, wäre da nicht eine Sache gewesen ...«
»Und welche wäre das?«, fragte Anna wütend.
»Ihr Verlobter besitzt ein paar geradezu unglaubliche Fähigkeiten. Niemand, mit dem ich je zusammengearbeitet habe, kommt auch nur ansatzweise an ihn heran. Er kann in einen Raum voller bis an die Zähne bewaffneter Terroristen gehen, ihnen die Turbane klauen, sie ausschalten und kommt lebend wieder raus. Das ist ziemlich einmalig. Für so jemanden machen wir dann schon einmal eine Ausnahme.« Frank tippte auf die Narbe in seinem Nacken. »Selbst wenn diese Ausnahme mich fast umgebracht hätte.«
»Dann arbeitet er also für Sie. Er hat mir gesagt, er arbeite für eine Polizeibehörde.«
»Hat er das? Und dass er ständig durch die Welt zieht, ohne zu wissen, ob er lebend zurückkommt?« Er musterte sie eingehend.
Nervös spielte Anna mit ihren Fingern. »Er hat gesagt, er hätte jetzt einen Schreibtischjob.«
»Einen Schreibtischjob?« Frank grinste. »Na ja, er hat ja auch gesagt, er gehe in den Ruhestand.« Er beugte sich so dicht an Anna heran, dass sie den Tabak in seinem Atem riechen konnte. »Lassen Sie mich Ihnen etwas sagen: Leute wie Shaw gehen nicht in den Ruhestand. Er macht weiter, bis er stirbt oder wir ihn nicht mehr brauchen. Versucht er, vorher zu gehen, wandert er auf direktem Weg in den miesesten Knast, den ich finden kann.« Er lehnte sich wieder zurück.
»Warum sind Sie hergekommen, um mir das zu erzählen?«
»Weil ich dachte, Sie sollten die ganze Wahrheit wissen.«
»So wie Sie Shaw beschrieben haben ... Das ist nicht der Mann, den ich kenne. Er hat mir in Deutschland das Leben gerettet. Er ist der liebenswerteste und wunderbarste Mann, den ich je getroffen habe.«
»Er tötet Menschen, Miss Fischer. Es sind schlechte Menschen, sicher, aber er tötet sie. Das tue ich auch ... zumindest habe ich es getan. Denn ich habe jetzt tatsächlich einen Schreibtischjob. Ihr Verlobter ist ein tapferer Mann, das muss ich ihm zugestehen. Er hat Nerven, wie ich es noch nie gesehen habe. Aber ich habe auch schon gesehen, wie er einen Mann von hier bis hier aufgeschlitzt hat.« Er zog mit dem Finger einen Strich vom Bauchnabel bis zum Hals. »Der Kerl hatte es verdient, aber Shaw ist kein Pfadfinder. Wenn er auf der Jagd ist, dann ist er der Alphawolf, wenn Sie wissen, was ich meine.«
Frank hielt inne und musterte Anna erneut. Ein Lächeln erschien auf seinem Gesicht. »Wissen Sie«, sagte er, »ich muss Ihnen sagen, ich bin beeindruckt. Ich habe schon vor fünf Minuten damit gerechnet, dass Sie in Tränen ausbrechen.«
»Haben Sie je im Leben jemanden geliebt, Mr. Wells?«, fragte Anna unvermittelt.
Frank kniff die Augen zusammen. Seine flapsige Art verschwand von einer Sekunde auf die andere. »Was?«
»Sie scheinen das alles irgendwie lustig zu finden. Genießen Sie den Schmerz anderer Menschen wirklich so sehr? Ist es das, was Ihr Amt, Ihr Dienst oder was auch immer von seinen Mitarbeitern verlangt? Dass sie keine Seele haben? Kein Mitgefühl?«
»Ich bin nur hierhergekommen, um Ihnen die Wahrheit zu sagen ...«
Anna ging zur Tür und öffnete sie.
Frank stand einen Augenblick stocksteif da; dann zuckte er mit den Schultern. »Okay, aber sagen Sie nicht, ich
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