Die Kampagne
worden - um dann nach ihrer Rückkehr nach New York feststellen zu müssen, dass man sie aus Budgetgründen gefeuert hatte. Ihren Job als Nachrufschreiber hatte nun ein Freiberufler übernommen, der auf die achtzig zuging.
Außerdem hatten sie ihr ein herzliches »Viel Glück, Katie« mit auf den Weg gegeben, als die Security sie aus dem Gebäude eskortiert hatte. Katie wäre am liebsten zurückgerannt, hätte sich ihre Pulitzertrophäen geschnappt und sie ihrem Chef in den Hals gerammt.
Stattdessen war sie nach Hause gegangen, und nun starrte sie den Gin an.
Nur ein Einziger. Nach einem hörst du auf.
Katie wusste, sie konnte das. Sie fühlte, dass sie die Kraft dazu besaß. Sie schraubte den Verschluss ab und roch an dem köstlichen Gin. Dann ließ sie ein Stück Limone ins Glas fallen und wirbelte es herum. Nur noch ein Schritt fehlte: die Hinzugabe von Bombay Sapphire. Damit wollte sie auf ihre neue Karriere trinken ... wie auch immer die aussah.
Aber das war nicht die ganze Geschichte. Tatsache war, im nüchternen Zustand sah sie Behnam in ihren Träumen. Der kleine afghanische Junge, der hatte sterben müssen, damit sie ihren zweiten Pulitzerpreis gewann, kam des Nachts im Schlaf zu ihr. Er wirkte dann stets sehr lebendig, und sein lockiges Haar wurde vom Wüstenwind zerzaust. Das Lächeln auf seinem Gesicht konnte das härteste Herz zum Schmelzen und Licht in die dunkelste Nacht bringen. Aber der Traum endete stets damit, dass Behnam tot in Katies Armen lag ...
Nur wenn sie trank, sah sie Behnam nicht mehr. Und wenn sie völlig betrunken war, blieb er ihr sogar ganz fern. Doch weil Katie in den vergangenen sechs Monaten keinen Tropfen mehr angerührt hatte, hatte sie Behnam fast jede Nacht gesehen. Hunderte Male war er in ihren Armen gestorben, nachdem er jede Nacht drei, vier Mal wiederauferstanden war. Katie war es leid. Sie wollte einen Drink. Nein, sie wollte sich zuschütten. Sie wollte Behnam nicht lebend sehen, und erst recht nicht tot.
Katie kauerte sich auf ihre nackten Fersen, nur mit einem zerlumpten Sweatshirt bekleidet, und starrte zum Fenster hinaus. Im Central Park fand heute eine Demo statt. Der Protest galt der russischen Regierung. Zehntausende Menschen marschierten dort und schwenkten Fahnen mit der Aufschrift: »Vergesst nicht Konstantin!« Katie konnte natürlich nicht wissen, dass die Fahnen und Banner den Organisatoren der Demonstration von einer Briefkastenfirma zur Verfügung gestellt worden waren, die eine Verbindung zu Pender & Associates besaß - eine Verbindung, die man nicht zurückverfolgen konnte. Insgesamt waren 20 Millionen dieser Flaggen für Demonstrationen überall auf der Welt produziert worden.
Katie hatte beschlossen, nicht an der Demo teilzunehmen. Sie hatte andere Dinge im Kopf.
Sie wandte sich vom Fenster ab, und ihr Blick schweifte ganz zufällig über die blaue Ginflasche zu dem Fernseher dahinter.
Sonderbericht. Jaja. Es gab immer einen Grund für einen Sonderbericht. Die nächste große Story. In gar nicht so ferner Vergangenheit hätte Katie längst in einem Flugzeug gesessen und wäre mit 900 Stundenkilometern ins Auge des Sturms gerast. Und es hätte ihr gefallen. Sie hätte jede Sekunde genossen, bis die nächste große Story kam. Es war ein psychotisches, adrenalintreibendes Rennen ohne Ziellinie gewesen.
Der Bericht kam aus London. Nun, in London geschah des Öfteren etwas, das einen Sonderbericht wert war. Allerdings war nichts Schlimmeres passiert, als Katie sich dort aufgehalten hatte. Das war mal wieder typisch: kein Glück. Katie seufzte und schaute sich das Gebäude an, das von Polizeiabsperrband gesichert wurde. Es kam ihr irgendwie bekannt vor.
Katie richtete sich auf und vergaß den Gin.
Was sagte die Frau im Fernseher? Westminster? Phoenix?
Katie sprang auf und drehte die Lautstärke hoch.
Die Reporterin stand im Regen, während Polizisten und Leute in weißen Uniformen geschäftig hin und her liefen. Neugierige wurden von tragbaren Absperrgittern zurückgehalten. Fernsehteams hatten sich entlang der gesamten Straße postiert, und ihre Antennen verbreiteten die Geschichte Byte um Byte sekundenschnell in der ganzen Welt.
»Das Gebäude der Phoenix Group hätte man wohl am wenigsten als Ort für einen solchen Anschlag vermutet«, sagte die Reporterin soeben. »In diesem Think-Tank, in einer Londoner Seitenstraße gelegen, beschäftigte man sich mit den verschiedensten weltpolitischen Themen. Fast jeder, der hier gearbeitet hat, war
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