Die Kampagne
Wissenschaftler - sicher nicht die Art von Person, die man als Ziel eines mörderischen Blutbads vermuten würde. Eine offizielle Liste der Toten wurde noch nicht veröffentlicht, da man zunächst die Familien verständigen will. Aber auch wenn man sich mit Einzelheiten noch zurückhält, hat es auf jeden Fall den Anschein, als wäre das Massaker ...«
Massaker? Hat die Frau Massaker gesagt?
Katie ließ sich auf den Teppich fallen. Ihr Herz pochte wild, und ihre Gliedmaßen fühlten sich wie tot an.
Die Reporterin fuhr fort: »Die Behörden haben bisher lediglich bekannt gegeben, dass sich fast dreißig Opfer im Gebäude befinden. Nichts deutet auf Überlebende hin.«
Nichts deutet auf Überlebende hin?
Katie schaute auf die Uhr und rechnete den Zeitunterschied aus, während trotz der wachsenden Panik die Reporterin in ihr die Kontrolle übernahm. In London war es jetzt Abend. Normalerweise dauerte es ein paar Stunden, bis die Leichen entdeckt werden und die Polizei gerufen wurde. Kamerateams und Gaffer ließen dann nicht lange auf sich warten. Es musste also gegen drei, vier Uhr nachmittags passiert sein. Katies Panik kehrte zurück.
Keine Überlebenden.
Sie sprang auf, rannte zum Telefon, schnappte sich die Visitenkarte, die Anna ihr gegeben hatte, und rief an. Sofort meldete sich die Mailbox. Katie schluckte ein Schluchzen herunter, als Annas präzise Stimme sie bat, eine Nachricht zu hinterlassen.
Sie legte auf, ohne ein Wort zu sagen.
Der nächste Gedanke traf sie wie ein Blitz. »Shaw!«, rief sie.
Katie rief die Nummer an, die er ihr gegeben hatte. Es klingelte vier Mal. Sie glaubte schon, auch hier würde sich die Mailbox melden, als jemand abhob.
»Allo?«, sagte eine Stimme auf Französisch.
Für einen Augenblick verwirrt, erwiderte Katie: »Ich ... äh, könnte ich Shaw sprechen?«
Die Frau am anderen Ende sagte erneut etwas auf Französisch.
Katie versuchte, sich die Reste ihres Schulfranzösisch und das wenige, was sie während ihrer Auslandsaufenthalte gelernt hatte, ins Gedächtnis zu rufen. Sie fragte die Frau, ob sie Englisch spreche. Das tat sie, allerdings nicht allzu gut. Katie fragte sie, wo Shaw sei.
Die Frau kannte den Namen nicht.
»Sie haben sein Telefon.«
Nun klang die Frau verwirrt. Sie fragte Katie, ob sie zur Familie gehöre.
Das klingt gar nicht gut, dachte Katie. Einen surrealen Augenblick lang fragte sie sich, ob Shaw wohl bei Anna in der Phoenix Group gewesen und ebenfalls getötet worden war. Aber warum sollte eine Französin dann sein Telefon haben, wenn das Massaker doch in London stattgefunden hatte?
»Ja«, antwortete sie der Frau. »Ich gehöre zur Familie. Ich bin seine Schwester. Wer sind Sie?«
Die Frau sagte, sie sei Krankenschwester, und ihr Name sei Marguerite.
»Eine Krankenschwester? Ich verstehe nicht ...«
»Dieser Mann, dieser Shaw, ist in die Hospital«, erklärte Marguerite.
»Was fehlt ihm denn?«
»Er ist verletzt worden. Er ist bei die Operation.«
»Wo?«
»In Paris.«
»Welches Krankenhaus?«
Die Frau sagte es ihr.
»Wird er wieder gesund?«
Marguerite antwortete, das könne sie nicht sagen.
Katie sprang auf, um ihre Sachen zu packen. Sie nutzte ein paar ihrer zigmillionen Vielfliegermeilen und buchte einen Platz in einer Maschine der Air France, die noch diese Nacht von JFK nach Paris flog.
Katie versuchte, während des Fluges zu schlafen, doch es gelang ihr nicht. Während alle anderen Passagiere um sie herum dösten, klebte ihr Blick an den Nachrichten auf ihrem persönlichen Bildschirm. Es gab ein paar neue Informationen über das Londonmassaker, wie die Medien es inzwischen nannten, aber nichts wirklich Erhellendes. Katie hatte versucht, Anna anzurufen, bevor sie in den Flieger gestiegen war, doch immer noch meldete sich nur der Anrufbeantworter.
Während der Jet über den Atlantik jagte, fragte Katie sich, warum sie das alles eigentlich tat. Sie kannte Anna und Shaw kaum. Und wie Shaw ihr mehr als deutlich gemacht hatte, stand es ihr nicht zu, sich in ihrer beider Leben einzumischen.
Warum tust du es dann, Katie?
Vielleicht lautete die Antwort: Weil du nichts anderes im Leben hast. Außerdem kannte sie Anna und Shaw zwar wirklich nicht gut, aber die dramatischen Umstände, unter denen sie die beiden kennengelernt hatte, machte sie zu mehr als einer flüchtigen Bekannten. Die beiden lagen ihr am Herzen. Sie wollte, dass sie glücklich waren. Und jetzt? Und jetzt fühlte sich Katie, als wäre gerade ein enger Freund
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