Die Kampagne
rechnete die Zahlen im Kopf rasch durch. Die Staatsverschuldung der USA belief sich auf zehn Billionen Dollar - die Scharade mit der Sozialversicherung einmal außen vor gelassen. Allein die Zinsen für Amerikas Kreditkartenschulden summierten sich auf 300 Milliarden Dollar pro Jahr; hinzu kamen 700 Milliarden für die Verteidigung, was insgesamt eine volle Billion jährlich machte, also etwa ein Drittel des Gesamthaushalts. Die Kosten für das Renten- und das Gesundheitssystem beliefen sich zusammen auf mehr als eine Billion, für Sozialhilfe und Arbeitslosengeld auf etwa 400 Milliarden. Damit blieb ein armseliger Rest, nur ein paar Hundert Milliarden, für andere Zwecke übrig. In diesem großen Spiel war das bestenfalls Wechselgeld. Und jeden Tag gingen die Yankees mit dem Hut in der Hand zu Ländern wie China, Japan und Saudi Arabien und bettelten um Geld, um ihren Konsum zu finanzieren. Creel war schon seit Längerem klar, wie dieses Lied enden würde. Das musste auch so sein, denn es lag in seinem Geschäftsinteresse. Trotz des verdienten Rufs der Amerikaner, einfallsreich und belastbar zu sein, wusste der erfahrene Geschäftsmann, dass Dollars niemals lügen.
Wenn das Land keine totale Kehrtwende macht, sind die Yankees in spätestens dreißig Jahren am Ende. Deshalb kaufe ich Euros, Yen, Yuan und Rupien und versuche, meine Klientel über das Land der Freien hinaus zu erweitern. Mit so vielen Schulden ist niemand wirklich frei - nicht, wenn das Haus bis übers Dach mit Hypotheken belastet ist. Aber sollen sie es ruhig genießen und noch ein paar Jahrzehnte Spaß mit ihren Kreditkarten haben. Zukünftige Generationen werden dafür bezahlen müssen, und wenn die Rechnung auf den Tisch kommt, wird die Hölle losbrechen.
Natürlich würden auch andere große Rüstungsfirmen ihr Stück vom Kuchen bekommen, aber Creels Firma war perfekt positioniert, um sich den Löwenanteil zu sichern. Das würde die Krönung seines Lebens sein. Sein Unternehmen wäre gerettet, sein Erbe gesichert. Und vor allem würde die Welt wieder ihr natürliches Gleichgewicht finden.
Das war alles, was er sich je erträumt hatte, und sie standen kurz vor dem Ziel.
Trotzdem kehrte Creel immer wieder zu dem Foto zurück, das Caesar ihm geschickt hatte. Sein Blick brannte sich in die Augen des großgewachsenen Mannes. Creel gefielen diese Augen nicht. Er hatte sein Vermögen nicht zuletzt damit verdient, dass er einen Gesichtsausdruck richtig zu deuten verstand und sich nicht von den Pokerfaces seiner Verhandlungspartner täuschen ließ. Und dieser Mann, dieser Shaw, gefiel ihm ganz und gar nicht. Verrückterweise kamen die Augen auf dem Bild ihm zugleich sehr vertraut vor. Als Creel in den Spiegel an der Wand schaute, wusste er auch warum.
Sie erinnern mich an mich selbst.
Creel lehnte sich zurück und hörte zu, wie seine Salesmanager bei 900 Stundenkilometern weiter über Verkaufsstrategien faselten.
Und seine Gedanken kehrten schon wieder zu diesen Augen zurück. Und zu diesem Mann. Sicher, es war nur ein Mann, doch manchmal reichte das aus, um alles zum Einsturz zu bringen.
Das würde Creel jedoch nie zulassen. Er hatte vor kaum etwas Angst, doch wenn es etwas gab, wovor er sich fürchtete, dann war es Unsicherheit. Deshalb hatte er ja Pender angeheuert, der die Welt glauben machte, was Creel sie glauben lassen wollte. Dieses Geschäft war oft ein Zermürbungskrieg. Man erschuf eine Wahrheit und begrub die Realität unter einem Haufen Müll, so groß, dass die Welt es irgendwann leid wurde, danach zu graben, und einfach akzeptierte, was man ihr vorsetzte. Das war der einfachste Weg, und die Menschen waren genau darauf programmiert. Immerhin mussten sie ja noch Rechnungen bezahlen, shoppen gehen, Kinder großziehen und Sport schauen. Wo sollten sie da noch die Zeit für irgendetwas anderes hernehmen? Ja, man besetzte jede Base, und doch schlüpfte immer wieder irgendjemand oder irgendetwas durch.
Aber nicht dieses Mal.
Nein, nicht diesmal!
Kapitel 59
B ring mich zu diesem Kerl«, forderte Shaw Katie auf. Sie saßen in seinem Zimmer im Savoy. Katie hatte ihm gerade von ihrer Begegnung mit dem Polen erzählt.
»Das kann ich nicht. Ich habe es versprochen.«
»Es ist mir egal, was du versprochen hast. Der Mann ist Zeuge in einer Morduntersuchung.«
Katie schaute zum Fenster hinaus, wo der Big Ben, die Houses of Parliament und das eiförmige London Eye ihren Blick mit der Themse im Vordergrund erwiderten. »Meinst du, das wüsste
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