Die Kandidaten
Fußstapfen treten und an die Jefferson
High School gehen sollte. Wenn die Schule gut genug war, dass
sie dort unterrichtete, warum war sie dann nicht gut genug, dass
ihr Kind dort unterrichtet wurde?
Nat saß auf seinem Bett und las in seinem Lieblingsbuch, als
er den Ausbruch seines Vaters hörte. Er war gerade bei dem
Kapitel, wo der Wal neuerlich entfloh. Widerwillig sprang er
vom Bett und streckte den Kopf aus der Tür, um die Ursache für
den Aufruhr in Erfahrung zu bringen. Seine Eltern stritten sich
heftig – dabei stritten sie sich sonst nie, trotz des häufig
kolportierten Eiscremevorfalls. Es ging darum, an welche
Schule er sollte. Sein Vater sagte gerade:
»… Chance seines Lebens. Nat wird mit Kindern
zusammenkommen, die zu Führern in allen Bereichen werden
und daher den Rest seines Lebens beeinflussen.«
»Anstatt an die Jefferson High zu gehen und auf Kinder zu
treffen, die er führen und für den Rest ihres Lebens beeinflussen
kann?«
»Aber er hat ein Stipendium bekommen. Wir werden keinen
Penny dafür bezahlen müssen.«
»Wir müssen auch keinen Penny bezahlen, wenn er an die
Jefferson High geht.«
»Aber wir müssen an Nats Zukunft denken. Wenn er Taft
besucht, könnte er eines Tages in Harvard oder Yale studieren
…«
31
»Jefferson hat mehrere Schüler hervorgebracht, die später
Harvard oder Yale besuchten.«
»Wenn ich eine Versicherung darüber abschließen müsste, auf
welcher der beiden Schulen es wahrscheinlicher ist …«
»Das ist ein Risiko, das ich gern eingehe.«
»Tja, aber ich nicht«, erklärte Michael. »Und ich habe jeden
einzelnen Tag meines Lebens damit verbracht, Risiken wie diese
abzuschätzen.« Nat hörte aufmerksam zu, während seine Mutter
und sein Vater ihren Streit fortsetzten, ohne dabei ihre Stimmen
zu heben oder die Geduld zu verlieren.
»Mir ist es lieber, mein Sohn macht seinen Abschluss als
Vertreter des Egalitarismus, als dass er zum Patrizier wird«,
erwiderte Susan voller Leidenschaft.
»Warum sollte das unvereinbar sein?«, erkundigte sich
Michael.
Nat zog sich in sein Zimmer zurück, ohne die Antwort seiner
Mutter abzuwarten. Sie hatte ihm beigebracht, sofort jedes Wort
nachzuschlagen, das er noch nie gehört hatte. Schließlich war es
ein Mann aus Connecticut gewesen, der die größte
Lexikographie der Welt zusammengetragen hatte. Nachdem er
alle Begriffe in Websters Wörterbuch nachgeschlagen hatte,
beschloss Nat, dass seine Mutter egalitärer war als sein Vater,
aber dass keiner von beiden ein Patrizier war. Er war sich nicht
sicher, ob er Patrizier werden wollte.
Als Nat das Kapitel in seinem Buch zu Ende gelesen hatte, trat
er ein zweites Mal aus seinem Zimmer. Die Atmosphäre schien
jetzt etwas ruhiger, darum beschloss er, nach unten zu seinen
Eltern zu gehen.
»Vielleicht sollten wir Nat die Entscheidung überlassen«,
meinte seine Mutter.
»Ich habe mich schon entschieden.« Nat setzte sich zwischen
die beiden. »Schließlich hast du mir immer beigebracht, auf
32
beide Seiten zu hören, bevor ich eine Schlussfolgerung ziehe.«
Seine Eltern waren sprachlos, während Nat lässig die
Abendzeitung aufschlug. Plötzlich wurde ihnen bewusst, dass er
ihre Unterhaltung gehört haben musste.
»Und zu welchem Entschluss bist du gelangt?«, erkundigte
sich seine Mutter ruhig.
»Ich möchte lieber an die Taft als an die Jefferson High«,
erwiderte Nat ohne zu zögern.
»Und dürfen wir erfahren, wie du zu dieser Entscheidung
gelangt bist?«, wollte sein Vater wissen.
Nat wusste, dass ihm sein Publikum an den Lippen hing, daher
beeilte er sich nicht mit seiner Antwort. » Moby Dick « ,
verkündete er schließlich, bevor er zur Sportseite blätterte.
Er wartete, wer von beiden als Erstes seine Worte wiederholen
würde.
» Moby Dick? « , fragten sie unisono.
»Ja«, meinte Nat. »Die guten Leute von Connecticut hielten
den großen Wal schließlich für den Patrizier der Meere.«
33
5
»EIN HOTCHKISS-MANN vom Scheitel bis zur Sohle«, freute
sich Miss Nichol, während sie gleichzeitig Andrews
Erscheinungsbild im Flurspiegel prüfte. Weißes Hemd, blauer
Blazer und braune Cordhosen. Miss Nichol rückte die blau-weiß
gestreifte Krawatte des Jungen gerade und entfernte einen
Staubfussel von seinem Hemd.
»Vom Scheitel bis zur Sohle«, wiederholte sie. Das wäre dann
ja nur ein Meter siebenundfünfzig, wollte Andrew entgegnen,
doch da trat sein Vater in den Flur. Andrew sah
Weitere Kostenlose Bücher