Die Kandidaten
hat nie mehr getan als mir die Wange zu küssen.«
»Und er wird auch nie mehr tun. Ich frage mich, wie viele
Menschen jemand lieben, den sie noch nicht einmal auf die
Wange geküsst haben.«
Nat verschwand nach oben, um Luke vorzulesen, während Su
Ling ein viertes Gedeck auflegte. Sie polierte gerade ein
zusätzliches Glas, als es schellte.
»Kannst du an die Tür gehen, Nat? Ich bin beschäftigt.« Es
kam keine Antwort, darum nahm Su Ling die Schürze ab und
ging selbst zur Tür.
»Hallo«, sagte Tom, beugte sich vor und küsste Su Ling auf
die Wange.
»Das ist Julia«, sagte er. Su Ling sah zu einer eleganten Frau
auf, die fast so groß war wie Tom und beinahe so dünn wie Su
Ling, auch wenn ihre blonden Haare und die blauen Augen auf
360
einen Stammbaum hinwiesen, der eher in Skandinavien als im
Fernen Osten verwurzelt war.
»Wie schön, Sie kennen zu lernen«, sagte Julia. »Ich weiß, es
klingt abgedroschen, aber ich habe schon so viel von Ihnen
gehört.«
Su Ling lächelte, als sie Julias Pelzmantel nahm. »Mein
Ehemann ist gerade beschäftigt …«
»Mit schwarzen Katern«, ergänzte Nat, der an Su Lings Seite
trat.
»Ich habe Luke Der Kater mit Hut vorgelesen. Hallo, ich bin
Nat. Sie müssen Julia sein.«
»Stimmt genau.« Julia schenkte Nat ein Lächeln, das Su Ling
daran erinnerte, wie attraktiv andere Frauen ihren Ehemann
fanden.
»Lasst uns ins Wohnzimmer gehen und etwas trinken«, schlug
Nat vor. »Ich habe Champagner kalt gestellt.«
»Gibt es etwas zu feiern?«, erkundigte sich Tom.
»Abgesehen davon, dass du jemand gefunden hast, der bereit
ist, dich zum Abendessen zu begleiten – nein. Mir fällt da nichts
Bestimmtes ein, außer …« Julia lachte. »… außer dem Anruf
von meinen Anwälten, die mir mitteilten, dass unsere
Übernahme der Bennett Bank geklappt hat.«
»Wann hast du das erfahren?«, wollte Tom wissen.
»Am späten Nachmittag. Jimmy rief an und ließ mich wissen,
dass sie alle Dokumente unterschrieben haben. Jetzt müssen wir
ihnen nur noch den Scheck überreichen.«
»Das hast du gar nicht erwähnt, als du nach Hause gekommen
bist«, schimpfte Su Ling.
»Der Gedanke, dass Julia zum Abendessen kommen würde,
hat es mich vergessen lassen«, sagte Nat. »Aber ich habe mit
Luke über den Deal gesprochen.«
»Und welche Meinung hatte er dazu?«, fragte Tom.
361
»Er fand, ein Dollar sei viel zu viel Geld für eine Bank.«
»Ein Dollar?«, staunte Julia.
»Ja. Die Bennett Bank hat in den letzten fünf Jahren nur
Verluste eingefahren und ihr Besitz deckt ihre Verbindlichkeiten
nicht annähernd ab, darum behält Luke womöglich Recht, wenn
ich das Ruder nicht noch herumreißen kann.«
»Wie alt ist Luke?«, wollte Julia wissen.
»Zwei, aber er hat bereits einen Riecher für finanzielle
Angelegenheiten.«
Julia lachte. »Erzählen Sie mir mehr von der Bank, Nat.«
»Das ist erst der Anfang«, erklärte er und schenkte den
Champagner aus. »Ich habe immer noch ein Auge auf die
Morgan Bank geworfen.«
»Und wie viel wird dich das kosten?«, fragte Su Ling.
»Ungefähr dreihundert Millionen zu heutigen Preisen, aber bis
ich so weit bin, ein Angebot abzugeben, könnte es bei über einer
Milliarde liegen.«
»In solchen Summen kann ich nicht denken«, sagte Julia. »Das
ist nicht meine Liga.«
»Das stimmt nicht, Julia«, widersprach Tom. »Vergiss nicht,
dass ich die Konten deiner Firma geprüft habe und anders als die
Bennett Bank hast du in den letzten fünf Jahren Gewinne
eingestrichen.«
»Ja, aber insgesamt nur etwas über eine Million.« Julia
schenkte ihm dieses besondere Lächeln.
»Entschuldigt mich«, sagte Su Ling. »Ich sehe nach dem
Essen.«
Nat lächelte seiner Frau zu und sah dann Toms Gast an. Er
hatte bereits das Gefühl, dass es Julia zu einer zweiten
Verabredung schaffen könnte. »Was machen Sie beruflich,
Julia?«, erkundigte sich Nat.
362
»Was glauben Sie?«, gab sie ihm mit demselben koketten
Lächeln zurück.
»Ich würde sagen, Sie sind Fotomodel, möglicherweise
Schauspielerin.«
»Nicht übel. Ich habe in meiner Jugend als Model gearbeitet,
aber in den letzten sechs Jahren habe ich mich mit Immobilien
beschäftigt.«
Su Ling kam zurück. »Darf ich bitten? Das Essen ist sofort
fertig.«
»Immobilien«, wiederholte Nat, als er seinen Gast ins
Esszimmer begleitete. »Darauf wäre ich nie gekommen.«
»Es stimmt aber«, warf Tom ein. »Und Julia möchte bei uns
ein Konto
Weitere Kostenlose Bücher