Die Kandidaten
die
Blätter durch. »Aber für Senator Davenport hat sich dadurch
alles verändert. Es hat sein Leben gerettet.«
»Stimmt«, bestätigte die Schwester. »Ich habe den Senator
gewarnt, dass er trotz der anstehenden Wahl noch mindestens
zwei Wochen bei uns bleiben muss.«
»Darauf würde ich nicht wetten«, meinte Renwick. »Ich gehe
davon aus, dass sich Fletcher bis zum Ende dieser Woche selbst
entlassen wird.«
»Da könnten Sie Recht haben.« Die Schwester seufzte. »Aber
was kann ich dagegen schon tun?«
»Nichts.« Renwick drehte die Akte auf seinem Schreibtisch
um, damit sie die Namen Nathaniel und Peter Cartwright in der
oberen rechten Ecke nicht lesen konnte. »Aber ich muss beide
Männer so schnell wie möglich sprechen. Bitte vereinbaren Sie
einen Termin.«
»Ja, Herr Doktor«, erwiderte die Schwester und machte sich
auf ihrem Klemmbrett eine Notiz, dann verließ sie das Büro.
Sobald die Tür geschlossen war, drehte Ben Renwick die Akte
wieder um und las den Inhalt erneut. Er hatte in den letzten drei
Tagen kaum an etwas anderes gedacht.
Bevor er später an diesem Abend sein Büro verließ, hinterlegte
er die Akte in seinem Privatsafe. Ein paar Tage mehr oder
weniger würden keinen großen Unterschied machen. Was er mit
630
den beiden Männern besprechen musste, war schließlich in den
vergangenen dreiundvierzig Jahren ein Geheimnis geblieben.
*
Nat wurde am Donnerstagabend aus St Patrick entlassen und
kein Mitglied der Krankenhausbelegschaft glaubte auch nur für
einen Moment, dass Fletcher am Wochenende noch bei ihnen
sein würde, obwohl seine Mutter ihn davon zu überzeugen
versuchte, er solle es locker angehen.
Während der längsten Woche seines Lebens kämpfte Ben
Renwick weiterhin mit seinem Wissen, ebenso wie es
Dr. Greenwood dreiundvierzig Jahre vor ihm getan haben
musste.
Aber
Renwick
gelangte
zu
einer
anderen
Schlussfolgerung: Er hatte das Gefühl, keine andere Wahl zu
haben, als beiden Männern die Wahrheit zu sagen.
Die beiden Wahlkampfgegner erklärten sich damit
einverstanden, sich am Dienstag um 6 Uhr morgens in
Dr. Renwicks Büro zu treffen. Es war der einzige Zeitpunkt vor
dem Wahltag, an dem beide Kandidaten noch eine freie Stunde
in ihren Terminkalendern hatten.
*
Nat traf als Erster ein, da er hoffte, noch rechtzeitig zu einer
Besprechung um 9 Uhr in Waterbury einzutreffen und
631
womöglich
unterwegs
noch
ein
paar
Besuche
an
Pendlerbahnhöfen einschieben zu können.
Fletcher humpelte um 5 Uhr 58 in Dr. Renwicks Büro und
ärgerte sich, dass Nat es vor ihm geschafft hatte.
»Sobald ich den Gips abbekomme«, sagte er, »werde ich Ihnen
in den Hintern treten.«
»Sie sollten nicht so mit Dr. Renwick reden, nach allem, was
er für Sie getan hat«, meinte Nat grinsend.
»Warum nicht?«, fragte Fletcher. »Er hat mich mit Ihrem Blut
aufgefüllt, jetzt bin ich nur noch ein halber Mann.«
»Wieder falsch«, erwiderte Nat. »Sie sind zweimal der Mann
wie vorher, aber immer noch nur halb so ein Mann wie ich.«
Dr. Renwick trat hinter seinem Schreibtisch hervor und öffnete
seinen Safe. Er zog eine Akte heraus und legte sie auf seinen
Schreibtisch. »Ich habe mehrere Tage lang überlegt, wie ich
Ihnen eine solch heikle Information mitteilen soll.« Er klopfte
mit dem rechten Zeigefinger auf die Akte. »Eine Information,
über die ich nie gestolpert wäre, hätte der Senator nicht einen
beinahe tödlichen Unfall erlitten und die Notwendigkeit
bestanden, Ihre beiden Krankenakten zu prüfen.« Nat und
Fletcher warfen sich einen Blick zu, sagten jedoch nichts. »Mir
stellte sich sogar das moralische Problem, ob ich es Ihnen
separat oder gemeinsam erzählen sollte. Wenigstens in diesem
Punkt ist jetzt klar, zu welcher Entscheidung ich gelangt bin.«
Die beiden Kandidaten sagten immer noch nichts. »Ich habe nur
eine Bitte: Die Information, die ich Ihnen gleich eröffnen werde,
muss ein Geheimnis bleiben, es sei denn Sie beide – und ich
wiederhole: Sie beide – wären bereit, sogar fest entschlossen,
damit an die Öffentlichkeit zu gehen.«
»Das ist kein Problem für mich«, sagte Fletcher und sah Nat
an.
»Für mich auch nicht«, erklärte Nat. »Schließlich bin ich hier
in Anwesenheit meines Anwalts.«
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Der Arzt ignorierte Nats Leichtfertigkeit. »Selbst wenn es den
Ausgang der Wahl beeinflussen könnte?«, fügte er fragend
hinzu. Beide Männer zögerten einen Augenblick, nickten
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