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Die Kandidaten

Die Kandidaten

Titel: Die Kandidaten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffrey Archer
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– und seine Zahlen waren nun gezogen
    worden. War es moralisch in Ordnung, eine Freistellung vom
    Wehrdienst zu beantragen, nur weil er Student war, oder sollte

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    er sich melden und seinem Land dienen, wie es sein alter Herr
    1942 getan hatte? Sein Vater hatte zwei Jahre mit der 80.
    Division in Europa verbracht, bevor er mit einem Purple Heart
    nach Hause zurückgekehrt war. Über fünfundzwanzig Jahre
    später vertrat sein Vater ebenso überzeugt die Ansicht, dass
    Amerika eine Rolle in Vietnam spielen müsse. Sollte eine solche
    Einstellung nur von jenen ungebildeten Amerikanern umgesetzt
    werden, die keine andere Wahl hatten?
    Nat rief umgehend zu Hause an und war nicht überrascht, als
    seine Eltern angesichts dieser Frage in eine ihrer seltenen
    Auseinandersetzungen gerieten. Seine Mutter hegte keinerlei
    Zweifel daran, dass er erst seinen Abschluss machen und dann
    noch einmal darüber nachdenken sollte; bis dahin war der Krieg
    vielleicht auch schon vorbei. Hatte Präsident Johnson das
    während seines Wahlkampfes nicht versprochen? Sein Vater
    vertrat dagegen die Ansicht, es stelle zwar eine etwas
    unglückliche Pause dar, aber es sei Nats Pflicht, der Einberufung
    Folge zu leisten. Wenn jeder auf die Idee käme, seinen
    Einberufungsbescheid
    zu
    verbrennen,
    würde
    Anarchie
    herrschen. Das war das letzte Wort seines Vaters zu diesem
    Thema.
    Als Nächstes rief Nat Tom in Yale an und fragte, ob er auch
    einen Einberufungsbescheid erhalten hatte.
    »Ja, habe ich«, bestätigte Tom.
    »Hast du ihn verbrannt?«, wollte Nat wissen.
    »Nein, so weit bin ich nicht gegangen, auch wenn ich ein paar
    Studenten kenne, die das getan haben.«
    »Soll das heißen, dass du dich gemeldet hast?«
    »Nein, ich besitze nämlich nicht dein moralisches Rückgrat,
    Nat. Ich werde den Rechtsweg einhalten. Mein Vater hat einen
    Anwalt in Washington gefunden, der sich auf Freistellungen
    spezialisiert hat, und er ist sich ziemlich sicher, dass er meine

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    Einberufung aufschieben kann, zumindest bis nach meinem
    Abschluss.«
    »Was ist mit diesem Kerl, der bei der Wahl zum
    Erstsemestervertreter gegen dich angetreten ist und so
    eindringlich für Amerikas Verantwortung gegenüber jenen
    eingetreten ist, ›die an der Demokratie teilhaben wollen‹ – wie
    hat er sich entschieden?«
    »Keine Ahnung«, sagte Tom, »aber wenn sein Name ebenfalls
    gezogen wurde, dann triffst du ihn wahrscheinlich ganz vorne an
    der Front.«

    *

    Monat für Monat verging, aber kein brauner Umschlag tauchte
    in seinem Brieffach auf. Fletcher glaubte allmählich, dass er
    wohl zu jenen Glücklichen gehören musste, deren Name nicht
    gezogen wurde. Doch stand sein Entschluss schon fest, wie er
    reagieren würde, wenn der schmale, braune Umschlag doch
    noch eintreffen sollte.
    Als Jimmy seinen Einberufungsbescheid erhielt, besprach er
    sich umgehend mit seinem Vater, der ihm riet, eine Freistellung
    zu beantragen, solange er noch studierte, mit dem Argument,
    dass er willens sei, seine Meinung in drei Jahren zu überdenken.
    Er erinnerte Jimmy daran, dass es bis dahin sehr wohl einen
    neuen Präsidenten geben mochte, eine neue Gesetzgebung und
    die Möglichkeit, dass Amerika nicht länger in Vietnam
    mitmischte. Jimmy folgte dem Rat seines Vaters und äußerte
    sich unverblümt, als er die moralische Seite dieser
    Angelegenheit mit Fletcher diskutierte.
    »Ich habe nicht die Absicht, mein Leben gegen eine Horde

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    von Vietcong aufs Spiel zu setzen, die am Ende ja doch dem
    Kapitalismus erliegen werden, auch wenn sie kurzfristig nicht
    für militärische Überlegenheit empfänglich sind.«
    Annie war mit den Ansichten ihres Bruders einig und es
    erleichterte sie, dass Fletcher keinen Einberufungsbefehl
    erhalten hatte. Sie zweifelte nämlich nicht daran, wie er darauf
    reagieren würde.

    *

    Am 5. Januar 1967 meldete sich Nat bei seiner örtlichen
    Wehrpflichtkommission.
    Nach einer umfassenden medizinischen Untersuchung wurde
    er von einem Major Willis befragt. Der Major hatte den ganzen
    Vormittag mit jungen Männern zugebracht, die einhundert
    verschiedene Gründe aufführten, warum sie zum Wehrdienst
    körperlich nicht in der Lage seien; nun war er beeindruckt:
    Cartwrights Tauglichkeit lag bei zweiundneunzig Prozent. Am
    Nachmittag unterzog sich Nat dem allgemeinen Einstufungstest
    und erzielte siebenundneunzig Punkte.
    Am folgenden Abend stieg Nat mit fünfzig anderen
    Wehrpflichtigen in einen Bus mit Ziel New Jersey. Während

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