Die Kandidaten
Verantwortung nicht gewachsen sind. Wir können den
Millionen Menschen in aller Welt, die unsere Vorstellung von
Freiheit bewundern und unsere Lebensweise übernehmen
möchten, unsere Führung anbieten oder wir wenden uns einfach
ab und lassen zu, dass ebendiese Millionen von Menschen unter
dem Joch des Kommunismus leiden, der die freie Welt zu
verschlingen droht. Oder aber wir gewähren diesen Menschen
unsere Hilfe, während sie versuchen, unsere demokratischen
Konzepte zu übernehmen. Es bleibt der Geschichte überlassen,
die Entscheidung, die wir treffen, aufzuzeichnen, aber die
123
Geschichte sollte nicht feststellen müssen, dass auf uns kein
Verlass war.«
Jimmy war erstaunt, dass die Menge bislang nur mit
gelegentlichen Unterbrechungen zugehört hatte, und ebenso
überrascht angesichts des respektvollen Beifalls, den Fletcher
erhielt, als er zwanzig Minuten später an seinen Platz
zurückkehrte. Am Ende des Redewettstreits war allen im Saal
klar, dass Fletcher das Duell gewonnen hatte, auch wenn Tom
den Antrag mit über zweihundert Stimmen Vorsprung für sich
entschied.
Jimmy brachte es irgendwie fertig, fröhlich zu wirken,
nachdem der jubelnden Meute das Ergebnis mitgeteilt worden
war. »Das ist ein verdammtes Wunder«, erklärte er.
»Ein schönes Wunder«, meinte Fletcher. »Ist dir nicht
aufgefallen, dass wir mit zweihundertachtundzwanzig Stimmen
verloren haben?«
»Ich habe eine überwältigende Niederlage erwartet, darum
sind zweihundertachtundzwanzig Stimmen für mich ein wahres
Wunder. Wir haben fünf Tage, um die Meinung von
einhundertvierzehn Wählern zu ändern, denn die meisten
Frischlinge akzeptieren, dass du offensichtlich der Beste bist,
um sie im Studentenausschuss zu vertreten«, sagte Jimmy, als
sie die Woolsey Hall verließen. Mehrere Leute riefen Fletcher
»Prima gemacht« und »Viel Glück« zu.
»Ich fand, Tom Russell hat eine gute Rede gehalten«, sagte
Fletcher.
»Außerdem vertritt er ihre Ansichten.«
»Nein, er wird nur den Platz für dich warmhalten.«
»Sei dir da mal nicht so sicher«, hielt Fletcher dagegen.
»Vielleicht erwärmt sich Tom für den Gedanken, Präsident zu
werden.«
124
»Keine Chance. Nicht angesichts dessen, was ich für ihn
geplant habe.«
»Ob ich die Frage wagen soll, was dir für ihn vorschwebt?«,
erkundigte sich Fletcher.
»Ich habe zu jeder Rede, die er gehalten hat, jemand aus
unserem Team geschickt. Während der Kampagne hat er
dreiundvierzig Wahlversprechen getätigt, von denen er die
meisten unmöglich halten kann. Wenn er täglich zwanzig Mal
daran erinnert wird, denke ich nicht, dass sein Name auf der
Wahlliste auftaucht.«
»Jimmy, hast du jemals Der Fürst von Machiavelli gelesen?«,
fragte Fletcher.
»Nein. Hätte ich das tun sollen?«
»Nein, mach dir keine Mühe, du kannst daraus nichts mehr
lernen. Was hast du heute Abend vor?«, fragte er gerade, als
Annie auf sie zukam. Sie umarmte Fletcher fest. »Gut gemacht«,
lobte sie, »deine Rede war brillant.«
»Zu schade, dass zweihundert andere das nicht so gesehen
haben«, sagte Fletcher.
»Sie haben es durchaus so gesehen, aber die meisten hatten
schon entschieden, wen sie wählen wollten, noch bevor sie die
Aula betreten haben.«
»Genau das versuche ich ihm die ganze Zeit klar zu machen.«
Jimmy wandte sich an Fletcher. »Meine Babyschwester hat
Recht und darüber hinaus …«
»Jimmy, ich werde in ein paar Wochen achtzehn«, fauchte
Annie ihren Bruder an, »nur für den Fall, dass du das noch nicht
bemerkt haben solltest.«
»Ich habe es sehr wohl bemerkt und einige meiner Freunde
behaupten sogar, dass du ziemlich hübsch sein sollst, auch wenn
ich das nicht so sehe.«
Fletcher lachte. »Kommst du mit uns ins Dino? «
125
»Nein. Du hast offenbar vergessen, dass Joanna und ich euch
beide zum Abendessen zu ihr eingeladen haben.«
»Ich habe es nicht vergessen«, sagte Annie, »und ich kann es
kaum erwarten, die Frau zu treffen, die meinen Bruder länger als
eine Woche an sich fesseln konnte.«
»Ich habe seit dem Tag, an dem ich sie traf, keine andere Frau
mehr angesehen«, flüsterte Jimmy.
*
»Ich will dich immer noch heiraten«, erklärte Nat und hielt sie
fest.
»Auch wenn du nicht sicher sein kannst, wer der Vater ist?«
»Umso mehr Grund, dass wir heiraten, dann kannst du nie an
meiner Hingabe zweifeln.«
»Daran habe ich nie auch nur eine Sekunde gezweifelt«, sagte
Rebecca, »auch nicht
Weitere Kostenlose Bücher