Die Kandidaten
»Auf ihre übliche entwaffnende Art und
Weise hat sie mich wissen lassen, es gehe nicht darum, dass die
Leute mich wollen, sie wollen nur einfach Elliot nicht. Ich sei
das kleinere von zwei Übeln, waren ihre genauen Worte, wenn
ich mich recht erinnere.«
»Ich bin sicher, dass sie damit den Nagel auf den Kopf
getroffen hat«, meinte Tom, »aber das könnte sich ändern, wenn
du den Leuten die Chance gibst, dich kennen zu lernen. Seit du
ans College zurückgekehrt bist, lebst du fast wie ein Einsiedler.«
»Ich musste sehr viel aufholen«, verteidigte sich Nat.
»Tja, das hast du geschafft, wie dein Punktedurchschnitt
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beweist«, erwiderte Tom. »Und man hat dich sogar ins
Laufteam der Uni berufen …«
»Wenn du an der UConn wärst, Tom, dann würde ich sofort
für die Präsidentschaft kandidieren, aber da du an der Yale bist
…«
*
Fletcher erhob sich von seinem Platz und sah die Geschworenen
an – neunundneunzig Jahre stand auf jedem einzelnen ihrer
Gesichter geschrieben. Wenn er die Uhr hätte zurückdrehen und
das Angebot von drei Jahren annehmen können, dann hätte er
das jetzt ohne zu zögern getan. Doch nun durfte er die Würfel
nur noch ein Mal werfen und musste dabei versuchen, Mrs
Kirsten den Rest ihres Lebens zurückzugeben. Er berührte seine
Mandantin an der Schulter und drehte sich um, wo er das
ermutigende Lächeln von Annie sah, die so sehr dafür
eingetreten war, dass er diese Frau verteidigte. Sein
Antwortlächeln löste sich in nichts auf, als er entdeckte, wer
zwei Reihen hinter ihr saß. Professor Karl Abrahams nickte ihm
kurz zu. Wenigstens wusste Jimmy jetzt, was nötig war, um
Homer ein Nicken zu entlocken.
»Meine Damen und Herren Geschworenen«, fing Fletcher mit
leichtem Zittern in der Stimme an, »Sie haben die überzeugende
Rede des Staatsanwaltes gehört, der meine Mandantin mit purer
Gehässigkeit überzogen hat, darum ist es jetzt an der Zeit, Ihnen
zu zeigen, gegen wen diese Gehässigkeit wirklich gerichtet sein
sollte. Doch lassen Sie mich zuerst einen Augenblick über Sie
sprechen. Die Presse hat es hochgespielt, dass ich nicht gegen
jeden weißen Geschworenen Einwand einlegte. Folglich sind
zehn von Ihnen weiß. Die Presse ging sogar noch weiter und
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meinte, hätte ich nur schwarze Geschworene gewählt,
mehrheitlich Frauen, dann würde Mrs Kirsten zweifellos als
freier Mensch aus dem Gericht spazieren. Aber das wollte ich
nicht. Ich habe jeden von Ihnen aus einem guten Grund
gewählt.« Die Geschworenen wirkten erstaunt.
»Selbst der Staatsanwalt konnte sich nicht zusammenreimen,
warum ich gegen einige von Ihnen keinen Einspruch einlegte«,
fügte Fletcher hinzu und sah zu Mr Stamp hinüber. »Ich habe
die Daumen gedrückt und auch niemand aus seiner enorm
großen Truppe konnte sich denken, warum ich gerade Sie
auserwählt habe. Was haben Sie nun alle gemeinsam?« Der
Staatsanwalt sah mittlerweile genauso verblüfft aus wie die
Geschworenen. Fletcher drehte sich um und wies auf Mrs
Kirsten. »Ebenso wie die Angeklagte ist jeder Einzelne von
Ihnen seit über neun Jahren verheiratet.« Fletcher wandte sich
wieder den Geschworenen zu. »Keine ewigen Junggesellen oder
alte Jungfern, die niemals das Eheleben kennen gelernt haben,
die nicht wissen, was hinter verschlossenen Türen zwischen
zwei Menschen vor sich gehen kann.« Fletcher entdeckte eine
Frau in der hinteren Reihe, die erschauerte. Er erinnerte sich an
Abrahams Worte, bei zwölf Geschworenen bestehe durchaus die
Möglichkeit, dass einer von ihnen dieselben Erfahrungen wie
die Angeklagte gemacht hatte. Diese Geschworene hatte er
soeben entdeckt.
»Wer von Ihnen fürchtet sich vor dem Moment, in dem der
Ehepartner nach Mitternacht heimkehrt, betrunken und mit
nichts als gewalttätigen Absichten? In den vergangenen neun
Jahren erlebte Mrs Kirsten das in sechs von sieben Nächten.
Sehen Sie sich diese zierliche und zarte Frau an und fragen Sie
sich, welche Chance sie gegen einen Mann gehabt hätte, der
einen Meter fünfundachtzig groß war und einhundertzehn Kilo
wog.«
Er richtete seine Aufmerksamkeit auf die Geschworene, die
geschaudert hatte. »Wer von Ihnen kommt nachts nach Hause
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und muss fest damit rechnen, dass der Ehemann das Brotbrett
packt, eine Käsereibe oder gar ein Steakmesser, nicht um in der
Küche eine Mahlzeit zu bereiten, sondern um im Schlafzimmer
die eigene Frau zu entstellen? Und was hätte Mrs Kirsten
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