Die Kane-Chroniken, Band 1: Die rote Pyramide
Seite sah ich, wie die Tragfläche des Flugzeugs abgerissen wurde, der Wind war bestimmt über dreihundert Stundenkilometer schnell.
In der Kabine brach Chaos aus – Getränke, Schuhe und Bücher flogen durch die Gegend, Sauerstoffmasken fielen herunter und baumelten in der Luft, Menschen kreischten in Todesangst.
»Schützt die Unschuldigen!«, befahl Desjardins.
Das Flugzeug wackelte immer stärker, auf den Fenstern und Wänden zeigten sich Risse. Der Druck in der Kabine sank und die Passagiere verstummten und fielen in Ohnmacht. Als das Flugzeug auseinanderbrach, hoben die vier Magier ihre Zaubermesser.
Einen Moment flogen die Magier in einem Mahlstrom aus dunklen Sturmwolken, Flugzeugteilen, Gepäckstücken und Passagieren, die sich noch immer an ihre Sitze angeschnallt um die eigene Achse drehten. Dann breitete sich mit einem Mal ein weißes Leuchten um sie aus, eine Energieblase, die das Auseinanderbrechen des Flugzeugs verlangsamte und die wirbelnden Stücke in einer engen Umlaufbahn zusammenhielt. Als Desjardins die Hand ausstreckte, bewegte sich ihm der Rand einer Wolke entgegen – sie glich einer Sicherheitsleine aus watteähnlichem weißen Nebel. Die anderen Magier folgten seinem Beispiel und schließlich beugte sich der Sturm ihrem Willen. Weißer Dampf hüllte alles ein und trieb noch mehr Ranken, die wie Trichterwolken aussahen. Sie schnappten sich Teile des Flugzeugs und zogen sie gemeinsam zurück.
Als neben Zia ein Kind in die Tiefe fiel, deutete sie mit ihrem Zauberstab auf das kleine Mädchen und murmelte eine Zauberformel. Eine Wolke umhüllte das Kind und holte es zurück. Kurz darauf bauten die vier Magier das Flugzeug um sie herum wieder zusammen, dichteten die Risse mit wolkenartigem Zeug ab, bis die gesamte Kabine am Ende in einem leuchtenden Kokon aus Dampf eingeschlossen war. Während draußen der Sturm tobte und der Donner grollte, schliefen die Passagiere fest in ihren Sitzen.
»Zia!«, rief Desjardins. »Das halten wir nicht lange durch!«
Zia rannte an ihm vorbei den Gang zum Cockpit hinunter. Irgendwie hatte die vordere Hälfte des Flugzeugs das Auseinanderbrechen unbeschadet überstanden. Die Tür war gepanzert und verschlossen, doch als Zias Zauberstab aufleuchtete, schmolz die Tür wie Wachs. Sie trat ins Cockpit. Dort lagen drei bewusstlose Piloten. Beim Blick aus dem Fenster wurde mir schlecht. Der Boden kam durch die wirbelnden Wolken schnell näher – sehr schnell.
Zia schlug mit ihrem Zaubermesser auf die Armaturen. Rote Energie pulste durch die Anzeigen. Zifferblätter drehten sich, Messuhren blinkten. Dann pendelte sich der Höhenmesser wieder ein, die Flugzeugnase hob sich und die Maschine verlor an Geschwindigkeit. Vor meinen Augen lenkte Zia das Flugzeug im Gleitflug auf eine Kuhweide und landete sanft. Doch mit einem Mal verdrehte sie die Augen und brach zusammen.
Desjardins war ihr gefolgt und nahm sie auf den Arm. »Schnell«, befahl er seinen Kollegen, »die Sterblichen wachen jeden Moment auf.«
Sie zerrten Zia aus dem Cockpit und mein Ba flog durch verschwommene Bilder davon.
Vor mir tauchte wieder Phoenix auf – zumindest ein Teil der Stadt. Ein gewaltiger roter Sandsturm peitschte durch das Tal und verschluckte Gebäude und Berge. Im rauen, heißen Wind hörte ich Seth lachen, der sich an seiner Macht freute.
Dann sah ich Brooklyn: Das zerstörte Haus von Amos am East River und einen Wintersturm, der darüber hinwegfegte, heulende Winde schleuderten Graupel und Hagel auf die Stadt.
Schließlich sah ich einen Ort, den ich nicht kannte: Ein Fluss wand sich durch einen Wüstencanyon. Der Himmel war voller pechschwarzer Wolken und die Oberfläche des Flusses schien zu brodeln. Unter Wasser bewegte sich etwas, etwas Großes, Bösartiges und Mächtiges – und ich wusste, dass es auf mich wartete.
Das ist erst der Anfang, warnte mich Horus. Seth wird alle umbringen, die dir etwas bedeuten. Glaub mir, ich weiß, wovon ich rede.
Der Fluss verwandelte sich in einen Sumpf mit hohem Schilf. Die Sonne brannte. Schlangen und Krokodile glitten durchs Wasser. Am Ufer stand eine strohgedeckte Hütte. Davor inspizierten eine Frau und ein etwa zehn Jahre altes Kind einen ramponierten Sarkophag. Man sah, dass der Sarg einmal ein Kunstwerk gewesen war – golden und mit Juwelen verziert –, nun war er jedoch voller Beulen und starrte vor Dreck.
Die Frau fuhr mit der Hand über den Sargdeckel.
»Endlich.« Sie hatte das Gesicht meiner Mutter – blaue
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