Die Kane-Chroniken, Band 1: Die rote Pyramide
losreißen. Ich schlich mich während der Mittagszeit weg, da schlafen die Dämonen nämlich. Es war viel zu einfach.«
»Klingt aber nicht einfach«, erwiderte ich.
Amos schüttelte den Kopf, offensichtlich machte er sich Sorgen. »Seth hat zugelassen, dass ich entkam. Ich weiß nicht, warum, aber eigentlich sollte ich nicht mehr am Leben sein. Da steckt irgendeine List dahinter. Ich befürchte …« Was immer er sagen wollte, er überlegte es sich anders. »Auf jeden Fall war mein erster Gedanke, dass ich euch finden musste, also habe ich mein Boot herbeigerufen.«
Er deutete hinter sich. Als ich mühsam den Kopf hob, sah ich im Sternenlicht, dass wir in einer seltsamen Wüste aus endlosen weißen Dünen waren. Der Sand unter meinen Fingern war fein und weiß wie Zucker. Amos’ Boot, dasselbe, das uns von der Themse nach Brooklyn gebracht hatte, lag in einem so riskanten Winkel auf einer nahe gelegenen Düne, dass es aussah, als hätte es jemand hingeworfen.
»An Bord ist ein Vorratsschrank«, bot Amos an, »falls ihr was Frisches anziehen möchtet.«
»Aber wo sind wir?«
»In White Sands«, erklärte mir Carter. »In New Mexico. Es ist ein Sperrgebiet, wo die Regierung Raketen austestet. Amos war der Meinung, dass hier niemand nach uns suchen wird, also haben wir dir Zeit gelassen, dich zu erholen. Es ist ungefähr sieben Uhr abends, immer noch der achtundzwanzigste. Ungefähr zwölf Stunden, bis Seth … Du weißt schon.«
»Aber …« In meinem Kopf schwirrten zu viele Fragen herum. Das Letzte, woran ich mich erinnern konnte, war, dass ich am Fluss mit Nephthys geredet hatte. Ihre Stimme hatte geklungen, als käme sie von der anderen Seite der Welt. Sie hatte leise durch die Strömung gesprochen – sie war zwar schwer zu verstehen gewesen, klang aber trotzdem ziemlich nachdrücklich. Sie hatte mir erzählt, dass sie weit weg in einem schlafenden Gastkörper in Sicherheit war, was für mich keinen Sinn ergab. Sie hatte gesagt, dass sie nicht persönlich vorbeikommen konnte, dass sie jedoch eine Nachricht schicken würde. Dann hatte das Wasser zu brodeln angefangen.
»Wir wurden angegriffen.« Carter streichelte Muffins Kopf und da fiel mir schließlich auf, dass das Amulett – Bastets Amulett – nicht mehr da war. »Sadie, ich hab schlechte Nachrichten.«
Er erzählte mir, was passiert war, und ich schloss die Augen. Ich brach in Tränen aus. Peinlich, ich weiß, aber ich konnte nicht anders. In den letzten paar Tagen hatte ich alles verloren – mein Zuhause, mein normales Leben, meinen Vater. Ein paarmal wäre ich fast draufgegangen. Der Tod meiner Mutter, über den ich sowieso nie hinweggekommen bin, schmerzte wie eine Wunde, die wieder aufgeplatzt war. Und jetzt war auch noch Bastet tot?
Anubis hatte mich in der Unterwelt gefragt, was ich zur Rettung der Welt zu opfern bereit wäre.
Was hatte ich denn noch nicht geopfert? Ich hätte am liebsten geschrien. Was hatte ich denn noch?
Carter kam herüber und gab mir Muffin, die in meinen Armen schnurrte, aber es war nicht dasselbe. Es war nicht Bastet.
»Sie kommt zurück, oder?« Ich sah Amos forschend an. »Sie ist schließlich unsterblich, oder?«
Amos zupfte an seiner Hutkrempe herum. »Sadie … Ich weiß es auch nicht. So wie es aussieht, hat sie sich geopfert, um Sobek zu schlagen. Bastet hat ihn auf Kosten ihrer eigenen Lebenskraft gezwungen, in die Duat zurückzukehren. Sie hat sogar Muffin, ihre Gastgeberin, verschont, was sie vermutlich ihren letzten Funken Kraft gekostet hat. Wenn das wirklich der Fall ist, wird es für Bastet sehr schwierig zurückzukommen. Vielleicht eines Tages, in ein paar hundert Jahren –«
»Nein, nicht in ein paar hundert Jahren! Ich kann nicht –« Mir versagte die Stimme.
Carter legte mir die Hand auf die Schulter und ich wusste, dass er verstand, was ich meinte. Wir konnten niemanden mehr verlieren. Es ging einfach nicht.
»Ruh dich jetzt aus«, schlug Amos vor. »Wir können noch eine Stunde warten, aber dann müssen wir los.«
Cheops bot mir eine Schale seines Gebräus an. Die klumpige Flüssigkeit sah wie eine Suppe aus, die schon längst verdorben war. Ich blickte zu Amos und hoffte, er würde es mir ersparen, er nickte jedoch aufmunternd.
Als wäre ich noch nicht gestraft genug, musste ich auch noch Pavianmedizin einnehmen.
Ich nippte an der Mischung, die fast so übel schmeckte, wie sie roch, und sofort wurden meine Augenlider schwer. Ich schloss die Augen und schlief ein.
Und
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