Die Kane-Chroniken, Band 1: Die rote Pyramide
den starren gierigen Blick und das Sabbermaul meines alten Kumpels Leroy, des Ungeheuers vom Flughafen in Washington, D. C. Kurz darauf sandfarbene Haare und ein attraktives, wenn auch hartes Gesicht, intelligente Augen, in denen der Schalk blitzte, und ein grausames, schiefes Lächeln. Er trat unseren Onkel zur Seite und Amos stöhnte auf. Das war zumindest ein Lebenszeichen.
Ich hielt mein Schwert so fest umklammert, dass die Klinge zitterte.
»Zia hatte Recht«, stellte ich fest. »Du hast Besitz von Amos ergriffen.«
Seth spreizte die Finger und gab sich Mühe, bescheiden auszusehen. »Na ja, weißt du … Ich hab nicht vollständig von ihm Besitz ergriffen. Götter können an mehreren Orten gleichzeitig existieren, Carter. Wäre er ehrlich, könnte Horus dir das bestätigen. Ganz sicher hat er sich damals nach einem netten Kriegsdenkmal umgesehen, das er besetzen könnte, oder nach einer Militärakademie – nach irgendwas anderem als deinem mickrigen Körper. Der Großteil meines Wesens dagegen steckt jetzt in diesem prächtigen Bauwerk.«
Stolz deutete er mit dem Arm auf den Thronsaal. »Aber ein Stückchen meiner Seele hat schon genügt, um von Amos Kane Besitz zu ergreifen.«
Zum Beweis streckte er den kleinen Finger aus. Eine dünne rote Rauchschwade kroch auf Amos zu und drang in seine Kleider ein. Amos krümmte sich, als hätte ihn ein Blitz getroffen.
»Hör auf damit!«, schrie ich.
Ich rannte zu Amos, doch der rote Nebel hatte sich bereits aufgelöst. Der Körper unseres Onkels sackte in sich zusammen.
Seth ließ die Hand sinken, als langweile ihn der Übergriff. »Von dem ist nicht viel übrig, fürchte ich. Amos hat sich tapfer geschlagen. Er war sehr unterhaltsam und hat mich mehr Energie gekostet, als ich erwartet habe. Diese Chaosmagie – das war seine Idee. Er hat sein Bestes getan, um euch zu warnen und euch klarzumachen, dass ich ihn in der Gewalt habe. Das Lustige ist, ich hab ihn gezwungen, seine eigenen magischen Reserven einzusetzen, um diesen Zauber zu Stande zu bringen. Er hat sich völlig verausgabt, um euch diese warnenden Lichtsignale zu schicken. Aber dass er euch in einen Sturm verwandelt hat … Also wirklich. Wer macht so was noch?«
»Du bist ein Ungeheuer!«, schrie Sadie.
Mit gespielter Überraschung schnappte Seth nach Luft. »Wirklich? Ich?«
Dann lachte er sich fast tot, als Sadie an Amos zerrte, um ihn in Sicherheit zu bringen.
»Amos war an jenem Abend in London«, warf ich ein und hoffte, damit seine Aufmerksamkeit auf mich zu lenken. »Er muss uns zum British Museum gefolgt sein und da hast du von ihm Besitz ergriffen. Desjardins war niemals dein Gastkörper.«
»Ach, dieser Prolet? Also wirklich«, höhnte Seth. »Wie ihr sicher schon gehört habt, ziehen wir Götter grundsätzlich Abkömmlinge der Pharaonen vor. Aber es war lustig, euch an der Nase herumzuführen. Das Bonsoir fand ich eine besonders hübsche Idee.«
»Du wusstest, dass mein Ba dort war und zugesehen hat. Du hast Amos gezwungen, Sabotage an seinem eigenen Haus zu verüben, damit deine Monster eindringen konnten. Du hast ihn in einen Hinterhalt gelockt. Warum hast du uns nicht einfach von ihm kidnappen lassen?«
Seth spreizte die Hände. »Wie gesagt, Amos hat sich tapfer gewehrt. Es gab ein paar Sachen, die ich nur hätte tun können, wenn ich ihn vollständig vernichtet hätte, und so schnell wollte ich mein neues Spielzeug nicht kaputt machen.«
In mir flammte Wut auf. Endlich ergab Amos’ seltsames Verhalten Sinn. Es stimmte, Seth hatte von ihm Besitz ergriffen, aber unser Onkel hatte sich mit Händen und Füßen dagegen gewehrt. Den Konflikt, den ich in ihm gespürt hatte, waren seine Versuche gewesen, uns zu warnen. Er hatte sich, weil er uns retten wollte, beinahe selbst geopfert und Seth hatte ihn wie ein kaputtes Spielzeug weggeworfen.
Lass mich übernehmen, drängte Horus. Wir werden Amos rächen.
Ich krieg das schon hin, erwiderte ich.
Nein!, widersprach Horus. Lass mich. Du bist noch nicht so weit.
Seth lachte, als könne er unseren Machtkampf spüren. »Ach, armer Horus. Dein Gastkörper braucht wohl noch Stützräder. Und mit so was willst du mich ernsthaft herausfordern?«
Zum ersten Mal teilten Horus und ich dasselbe Gefühl zur selben Zeit: Wut.
Ohne nachzudenken, hoben wir die Hand und ließen Seth unsere Kraft spüren. Eine leuchtende Faust traf ihn und der rote Gott flog mit solcher Wucht nach hinten, dass eine Säule einstürzte und ihn unter sich
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