Die Kane-Chroniken, Band 1: Die rote Pyramide
an.«
Er hatte einen ziemlich langen Papyrus gefunden und der größte Teil des Textes bestand aus Hieroglyphenkolonnen.
»Kannst du irgendwas davon lesen?«, fragte Carter.
Ich sah auf das Geschriebene und komischerweise konnte ich außer der ersten Zeile nichts verstehen. »Nur die Überschrift. Da steht … Geschlechter des Großen Hauses . Was soll das denn bedeuten?«
»Großes Haus«, überlegte Carter. »Wie klingt das auf Ägyptisch?«
»Per-aa. Ach, das bedeutet Pharao, oder? Aber ich dachte, ein Pharao ist ein König?«
»Ist er auch«, bestätigte Carter. »Der Begriff bedeutet wörtlich ›großes Haus‹, so wie die Residenz des Königs. Das ist, als würde man über den US-Präsidenten als ›Das Weiße Haus‹ sprechen. Hier bedeutet es vermutlich eher so etwas wie Geschlechter der Pharaonen, und zwar alle, die gesamte Abfolge der Dynastien, nicht nur ein einzelner Typ.«
»Was gehen mich denn die Geschlechter von irgendwelchen Pharaonen an und warum kann ich den Rest nicht lesen?«
Carter starrte auf die Kolonnen. Plötzlich bekam er große Augen. »Es sind Namen. Schau, sie sind alle in Kartuschen geschrieben.«
»Wie bitte?«, fragte ich, denn Kartusche klang wie ein eher obszönes Wort und ich bilde mir ein, dass ich mich damit ganz gut auskenne.
»Das Oval drum herum«, erklärte Carter. »Die Kartuschen symbolisieren magische Seile. Sie sollen den Träger des Namens vor schwarzer Magie schützen.« Er sah zu mir. »Und möglicherweise davor, dass andere Magier ihren Namen lesen können.«
»Ach, du spinnst ja«, erwiderte ich. Doch als ich mir die Linien anschaute, begriff ich, was er meinte. Alle anderen Wörter waren durch Kartuschen geschützt und ich wurde nicht schlau aus ihnen.
»Sadie«, sagte Carter, seine Stimme klang eindringlich. Er deutete auf eine Kartusche ganz am Ende der Liste – auf den letzten Eintrag von Tausenden.
Innerhalb des Kreises waren zwei einfache Symbole, ein Korb und eine Welle.
»KN«, verkündete Carter. »Die kenne ich. Das ist unser Name, KANE.«
»Da fehlen aber ein paar Buchstaben, oder?«
Carter schüttelte den Kopf. »Ägypter schreiben normalerweise keine Vokale. Bloß Konsonanten. Die Vokallaute muss man sich aus dem Kontext erschließen.«
»Die waren doch echt bekloppt. Es könnte also genauso gut KENIA oder IKONE oder KNIE oder AKNE sein?«
»Ja«, sagte Carter. »Aber es ist unser Name, Kane. Ich hab Dad mal gebeten, ihn für mich in Hieroglyphen zu schreiben, und er hat ihn genau so geschrieben. Aber warum stehen wir auf dieser Liste? Und was bedeutet ›Geschlechter der Pharaonen‹?«
Mir lief es eiskalt den Rücken herunter. Mir fiel ein, was Amos darüber gesagt hatte, dass beide Linien unserer Familie sehr weit zurückgingen. Unsere Blicke trafen sich und nach Carters Gesichtsausdruck zu schließen, ging ihm dasselbe durch den Kopf.
»Das kann nicht sein«, protestierte ich.
»Sicher ein Scherz«, stimmte er zu. »Kein Mensch verfolgt seinen Stammbaum so weit zurück.«
Ich schluckte, mein Hals war mit einem Mal sehr trocken. Seit gestern waren uns so viele seltsame Dinge passiert, aber erst, als ich unseren Namen in diesem Buch sah, fing ich an, diesen ganzen wahnwitzigen Ägyptenkram tatsächlich zu glauben. Götter, Magier, Monster … und unsere Familie mittendrin.
Schon seit mir beim Frühstück klargeworden war, dass Dad versucht hatte, Mom von den Toten zurückzuholen, war ich ein schreckliches Gefühl nicht mehr losgeworden. Angst war es nicht. Stimmt schon, die ganze Vorstellung war ziemlich gruselig, viel gruseliger als der Schrein für meine tote Mutter bei meinen Großeltern im Flurschrank. Ja, natürlich hab ich euch erzählt, dass ich nicht in der Vergangenheit leben will und dass am Tod meiner Mutter nichts zu ändern ist. Aber das war gelogen. In Wahrheit träume ich, seit ich sechs war, von einer Sache: meine Mom wiederzusehen. Um sie wirklich kennenzulernen, um mit ihr zu reden, einkaufen zu gehen, alles Mögliche. Nur einmal mit ihr zusammen zu sein, damit ich mich besser an sie erinnern könnte. Das Gefühl, das ich loszuwerden versuchte, hieß Hoffnung. Ich wusste, dass ich das Risiko einging, tief verletzt zu werden. Aber wenn es wirklich möglich wäre, sie zurückzuholen, würde ich jede Menge Rosettasteine dafür in die Luft jagen.
»Komm, wir sehen uns die anderen Schriften an«, schlug ich vor.
Nach einigen Minuten stieß ich auf ein Bild von ein paar tierköpfigen Göttern. Sie standen zu
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