Die Kane-Chroniken, Band 1: Die rote Pyramide
um sie festzuhalten«, fügte ich hinzu. »So, wie du in Cleopatra’s Needle festgehalten wurdest.«
Ihr Gesichtsausdruck verdüsterte sich. »Ich war eigentlich nicht in dem Obelisken gefangen. Mein Gefängnis war ein durch Zauber erschaffener Abgrund tief in der Duat und deine Eltern haben den Obelisken als Tür benutzt, um mich freizulassen. Ja, doch. Alle ägyptischen Symbole sind Knotenpunkte, an denen magische Kräfte zusammenfließen. Deshalb kann ein Obelisk auf jeden Fall dazu benutzt werden, Götter einzusperren.«
In meinem Hinterkopf schwirrte eine Idee herum, aber ich konnte sie nicht ganz auf den Punkt bringen. Sie hatte etwas mit meiner Mutter zu tun und Cleopatra’s Needle und dem letzten Versprechen meines Vaters im British Museum: Ich bringe alles wieder in Ordnung.
Dann dachte ich an den Louvre zurück und an die Bemerkung, die der Magier abgelassen hatte. Bastet sah in diesem Moment so böse aus, dass ich fast Angst hatte, sie zu fragen, aber nur so würde ich eine Antwort bekommen. »Der Magier hat behauptet, du hättest deinen Posten verlassen. Was meinte er damit?«
Carter sah mich fragend an. »Wann war das denn?«
Ich erzählte ihm, was passiert war, nachdem Bastet ihn durch das Portal geschleudert hatte.
Bastet stapelte ihre leeren Friskies-Dosen aufeinander. Sie schien nicht scharf darauf zu sein zu antworten.
»Als ich eingesperrt war«, sagte sie schließlich, »war ich – ich war nicht allein. Ich war mit einem … Geschöpf des Chaos eingesperrt.«
»Ist das schlimm?«, fragte ich.
Bastets Gesichtsausdruck nach zu urteilen, lautete die Antwort Ja. »Magier tun so etwas oft – einen Gott mit einem Monster einsperren, damit wir keine Zeit für Ausbruchsversuche haben. Ich habe eine Ewigkeit gegen dieses Monster angekämpft. Als eure Eltern mich freigesetzt haben –«
»Ist das Ungeheuer entwischt?«
Für meinen Geschmack zögerte Bastet einen Augenblick zu lang.
»Nein. Mein Widersacher hätte nicht entkommen können.« Sie holte tief Luft. »Als letzte magische Handlung versiegelte eure Mutter das Tor. Der Widersacher ist nach wie vor in der Duat. Aber darauf hat der Magier angespielt. Seiner Meinung nach bestand mein ›Posten‹ darin, für alle Ewigkeit gegen dieses Ungeheuer anzukämpfen.«
Es hörte sich glaubhaft an, sie schien uns eine quälende Erinnerung zu erzählen, aber es erklärte nicht die anderen Behauptungen des Magiers: dass sie uns alle in Gefahr gebracht hätte. Genau in dem Moment, als ich meinen ganzen Mut zusammennahm, um zu fragen, was es mit dem Ungeheuer genau auf sich gehabt hatte, erhob sich Bastet.
»Ich sondiere mal die Lage«, meinte sie unvermittelt. »Bin gleich wieder da.«
Wir lauschten dem Hall ihrer Schritte, als sie die Treppe hinunterstieg.
»Sie verheimlicht uns etwas«, sagte Carter.
»Merkst du das auch schon?«, erwiderte ich.
Er wich meinem Blick aus und ich fühlte mich auf der Stelle mies.
»Tut mir leid«, sagte ich. »Es ist bloß … was sollen wir tun?«
»Dad retten. Was sonst?« Er nahm sein Zaubermesser und drehte es hin und her. »Glaubst du, er hatte wirklich vor … na ja, Mom zurückzuholen?«
Ich hätte gern Ja geantwortet. Ich hätte alles darum gegeben, glauben zu können, dass es möglich war. Trotzdem schüttelte ich den Kopf. Irgendetwas daran schien mir falsch. »Iskander hat mir etwas über Mom erzählt«, sagte ich. »Sie war eine Wahrsagerin. Sie konnte in die Zukunft sehen. Er sagte, sie habe ihn dazu gebracht, einige althergebrachte Dinge zu überdenken.«
Da ich noch keine Gelegenheit gehabt hatte, Carter etwas von meinem Gespräch mit dem alten Magier zu berichten, erzählte ich ihm alles haarklein.
Carter zog die Augenbrauen zusammen. »Glaubst du, das könnte der Grund für Moms Tod gewesen sein – dass sie etwas in der Zukunft gesehen hat?«
»Keine Ahnung.« Ich versuchte, mich an die Zeit zu erinnern, als ich sechs war, aber meine Erinnerung war verschwommen. Ärgerlich. »Als sie uns das letzte Mal nach England mitgenommen haben … Machten Dad und sie da den Eindruck, als hätten sie es sehr eilig? Als hätten sie etwas wirklich Wichtiges zu tun?«
»Auf jeden Fall.«
»Hältst du die Befreiung von Bastet für wirklich wichtig? Ich meine … Ich finde sie nett, klar – aber sterbenswichtig?«
Carter zögerte. »Wahrscheinlich nicht.«
»Genau das meine ich. Ich glaube, Mom und Dad hatten etwas Größeres vor, etwas, das sie nicht zu Ende gebracht haben. Vielleicht
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