Die Kane-Chroniken, Band 1: Die rote Pyramide
das wenigstens geklärt, dachte ich. Und ich erlaubte den Strömungen, mich davonzutragen. Die Welt wurde schwarz.
Zuerst war ich im Nirgendwo – es war einfach nur schwarze Leere. Dann trat plötzlich ein junger Mann aus den Schatten.
»Du schon wieder«, begrüßte er mich.
Ich stammelte: »Ähm …«
Mal ehrlich, ihr kennt mich mittlerweile ganz gut. Das ist eigentlich überhaupt nicht meine Art. Aber da stand der Junge, den ich in meiner Vision im Gang der Zeitalter gesehen hatte – der unglaublich süße Junge mit den schwarzen Gewändern und den verwuschelten Haaren. Beim Blick in seine dunkelbraunen Augen bekam ich weiche Knie und ich war superfroh, dass ich die Hühneraufmachung losgeworden war.
Ich setzte noch mal an und brachte zwei ganze Worte heraus. »Was machst …?«
»Du hier?«, schlug er vor und beendete galant meinen Satz. »Seelenwanderung und Tod sind sich ziemlich ähnlich.«
»Keine Ahnung, was das bedeuten soll«, erwiderte ich. »Muss ich mir Sorgen machen?«
Er legte den Kopf schief, als dächte er über meine Frage nach. »Bei diesem Ausflug nicht. Sie will bloß mit dir reden. Komm mit.«
Er hob die Hand, daraufhin öffnete sich in der Dunkelheit eine Tür. Etwas zog mich in ihre Richtung.
»Sehen wir uns wieder?«, fragte ich.
Doch der Junge war bereits verschwunden.
Und ich stand in einer luxuriösen Wohnung mitten im Himmel. Sie hatte keine Wände, keine Decke und einen durchsichtigen Boden, durch den man aus Flugzeughöhe auf die Lichter einer Stadt heruntersah. Unter meinen Füßen trieben Wolken vorbei. Eigentlich hätte die Luft eisig kalt und zum Atmen zu dünn sein müssen, mir war jedoch warm und ich fühlte mich wohl.
Auf einem blutroten Teppich standen um einen Glascouchtisch schwarze Ledersofas. In einem Schieferkamin brannte ein Feuer. Wo Wände hätten sein sollen, schwebten Bücherregale und Bilder. In der Ecke stand ein Tresen aus schwarzem Granit und im Schatten dahinter bereitete eine Frau Tee zu.
»Hallo, mein Kind«, begrüßte sie mich.
Sie trat ins Licht und ich schnappte nach Luft. Sie trug einen eng anliegenden hohen Leinenrock. Oberhalb der Taille hatte sie bloß ein Bikinioberteil an und ihre Haut … ihre Haut war dunkelblau und voller Sterne. Damit meine ich nicht aufgemalte Sterne. Auf ihrer Haut lebte der gesamte Kosmos: funkelnde Sternbilder, Galaxien, die so hell waren, dass ich sie kaum ansehen konnte, leuchtende Nebulae aus rosa und blauem Staub. Ihre Gesichtszüge schienen sich in den Sternen aufzulösen, die über ihr Gesicht wanderten. Ihr Haar war lang und schwarz wie die Nacht.
»Du bist Nut«, sagte ich. Mir wurde klar, dass ich das ein bisschen komisch gesagt hatte, weil ich wieder an Nutella denken musste. »Ich wollte sagen … die Himmelsgöttin.«
Die Göttin lächelte. Beim Anblick ihrer strahlend weißen Zähne hatte ich das Gefühl, eine neue Galaxie würde entstehen. »Nut ist schon in Ordnung. Und glaub mir, ich kenne die ganzen Witze über meinen Namen.«
Sie schenkte Tee aus ihrer Kanne in eine zweite Tasse. »Komm, wir setzen uns und unterhalten uns ein bisschen. Möchtest du Sahlab ?«
»Ach, es ist gar kein Tee?«
»Nein, ein ägyptisches Getränk. Du kennst doch heiße Schokolade. Das hier ist eher wie heiße Vanille.«
Da ich schon ewig keinen vernünftigen Tee mehr getrunken hatte, wäre mir Tee lieber gewesen. Aber vermutlich konnte man das Angebot einer Göttin nicht ablehnen. »Ähm … ja. Danke.«
Wir setzten uns aufs Sofa. Erstaunlicherweise konnten meine leuchtenden Geisterhände ohne Schwierigkeiten eine Teetasse halten und ich konnte problemlos trinken. Der Sahlab war süß und lecker und schmeckte leicht nach Zimt und Kokosnuss. Er wärmte mich angenehm und erfüllte die Luft mit Vanillearoma. Zum ersten Mal seit Tagen fühlte ich mich sicher. Dann fiel mir ein, dass ich ja bloß als Geist bei Nut war.
Nut stellte ihre Tasse ab. »Du fragst dich wahrscheinlich, warum ich dich hierhergeholt habe.«
»Wo ist ›hier‹ eigentlich genau? Und übrigens, wie heißt denn dein Portier?«
Ich hoffte, sie würde mir ein paar Informationen über den Jungen geben, aber sie lächelte bloß. »Ich muss meine Geheimnisse für mich behalten, Liebes. Ich will ja nicht, dass sich das Lebenshaus auf die Suche nach mir macht. Sagen wir so, ich habe beim Hausbau Wert auf einen netten Blick auf die Stadt gelegt.«
»Ist das …?« Ich deutete auf ihre sternenbedeckte blaue Haut. »Äh … steckst du in
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