Die Kane-Chroniken – Der Feuerthron
mehr als unversehrt. Sie war wie neu. Das Segel war strahlend weiß, in der Mitte leuchtete golden das Sonnensymbol. Die Ruder waren repariert und auf Hochglanz poliert. Das Boot war frisch in Schwarz, Gold und Grün lackiert. Im Rumpf waren keine Lecks mehr und das Zelthaus war wieder ein wunderschöner Pavillon. Weder ein Thron war da noch Re, aber als die Mannschaft die Leinen am Kai vertäute, leuchtete sie hell und fröhlich.
Ich konnte nicht anders. Ich schlang die Arme um Carter und schluchzte. »Alles in Ordnung mit dir?«
Er wich peinlich berührt zurück und nickte. Die Hieroglyphe auf seiner Stirn war verbrannt.
»Dank dir«, sagte er. »Wo –?«
»Haus Sonnenschein«, antwortete eine vertraute Stimme.
Bes kam die Stufen zum Kai hinunter. Er trug ein neues, sogar noch schrilleres Hawaiihemd und statt Shorts nur seine Badehose, für angestrengte Augen war er also nicht gerade eine Entspannung. Hier in der Duat leuchtete er geradezu vor Energie. Seine Haare waren dunkler geworden und lockiger und sein Gesicht wirkte Jahrzehnte jünger.
»Bes!«, rief ich. »Warum hast du so lange gebraucht? Sind Walt und Zia –?«
»Es geht ihnen gut«, erwiderte er. »Und ich habe euch doch gesagt, dass ich euch am Vierten Haus treffe.« Er deutete mit dem Daumen auf ein Zeichen, das in den Torbogen gemeißelt war. »Früher hieß es Haus der Ruhe. Offenbar haben sie den Namen geändert.«
Obwohl das Zeichen aus Hieroglyphen bestand, konnte ich es problemlos lesen. » Haus Sonnenschein – Betreute Wohngemeinschaft« , las ich. » Ehemals Haus der Ruhe. Unter neuer Leitung. Was genau –?«
»Wir sollten uns auf den Weg machen«, erklärte Bes. »Bevor euer Verfolger uns einholt.«
»Verfolger?«, fragte Carter.
Bes deutete zum Rand des glutroten Wasserfalls, der nun fast einen Kilometer entfernt war. Zuerst konnte ich nichts entdecken. Doch dann sah man einen weißen Streifen, der sich von den roten Flammen abhob – als wäre ein Mann in Eisverkäuferkleidung in den See gesprungen. Ich hatte mir den weißen Fleck in der Dunkelheit offenbar doch nicht eingebildet. Wir wurden tatsächlich verfolgt.
»Menschikow?«, fragte ich. »Das ist – das ist –«
»Ganz schlecht«, sagte Bes. »Nun kommt. Wir müssen den Sonnengott finden.«
20.
Wir besuchen das Haus des hilfsbereiten Nilpferds
Krankenhäuser. Klassenzimmer. Zur Liste der ätzendsten Orte füge ich jetzt hinzu: die Wohnungen alter Leute.
Das klingt vielleicht komisch, denn ich habe ja bei meinen Großeltern gewohnt. Aber mir geht es um Einrichtungen . Pflegeheime. Das sind die allerschlimmsten. Ihr Gestank ist eine ruchlose Mischung aus Kantinenfraß, Putzmitteln und Rentnern. Die Insassen (Entschuldigung, Bewohner) sehen grundsätzlich todtraurig aus. Und die Heime haben absurd fröhliche Namen, wie zum Beispiel Haus Sonnenschein. Also wirklich.
Durch den Kalksteintorbogen traten wir in eine lange offene Halle – die ägyptische Version betreuten Wohnens. Reihen bunt bemalter Säulen waren mit schmiedeeisernen Wandleuchten bestückt, die brennende Fackeln hielten. Hier und dort hatte man bei dem missglückten Versuch, den Ort freundlicher zu gestalten, Topfpalmen und blühende Hibiskuspflanzen aufgestellt. Panoramafenster blickten auf den Feuersee, vermutlich eine nette Sache, wenn man auf Schwefelgeruch steht. Die Wände waren mit Szenen aus dem ägyptischen Jenseits bemalt, zusammen mit lustigen Sprüchen wie PERFEKT ABGESICHERT IN DIE UNSTERBLICHKEIT und MIT DREITAUSEND JAHREN, DA FÄNGT DAS LEBEN ERST AN!
Leuchtende Dienerlichter und Ton-Uschebti in weißen Pflegeuniformen eilten geschäftig hin und her, trugen Tabletts mit Medikamenten und schoben Rollstühle. Die Patienten hingegen eilten kaum hin und her. Ein Dutzend verhutzelte Gestalten in Krankenhauskitteln aus Leinen saß in der Halle herum und starrte ins Leere. Ein paar wanderten durch den Raum und schoben Infusionsständer vor sich her. Alle trugen Armbänder, auf denen in Hieroglyphen ihre Namen standen.
Ein paar sahen wie Menschen aus, aber viele hatten auch Tierköpfe. Ein alter Mann mit dem Kopf eines Kranichs schaukelte in einem Klappstuhl aus Metall hin und her und nörgelte über ein Senetspiel auf dem Couchtisch. Eine alte Frau mit angegrautem Löwenkopf flitzte in ihrem Rollstuhl durch die Gegend und murmelte: »Miau, miau.« Ein verschrumpelter blauhäutiger Mann, der kaum größer als Bes war, umarmte eine der Kalksteinsäulen und weinte leise, er schien Angst
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