Die Kane-Chroniken – Der Feuerthron

Glück erinnerte ich mich an ein Ausstellungsstück im Brooklyn Museum. Chnum war dort als Töpfer dargestellt gewesen, der einen Menschen aus Ton formt.
    »– der Göttliche Töpfer«, verbesserte ich mich selbst. »Ich nenne dich Chnum, den Beschützer des Vierten Tores. Ich gebe dir deinen Namen zurück. Ich gebe dein wahres Wesen zurück an Re.«
    Die großen Augen des Gottes wurden noch größer. Seine Nüstern blähten sich auf. »Ja.« Er steckte seine Messer in die Scheide. »Gut gemacht, junge Dame. Du darfst ins Vierte Haus eintreten. Nimm dich jedoch vor den Feuern in Acht und bereite dich auf Res zweite Erscheinungsform vor. Er wird sich für deine Hilfe nicht so dankbar zeigen.«
    »Was meinst du damit?«, wollte ich wissen.
    Doch der Körper des Widdergottes löste sich bereits in Nebel auf. Die Sonnenlitanei saugte die Rauchfahnen ein und rollte sich wieder zusammen. Chnum und seine Insel waren verschwunden. Das Boot trieb in einen engen Tunnel.
    »Sadie«, sagte Carter, »das war der Hammer.«
    Normalerweise hätte ich mich gefreut, ihn durch meine Genialität zu verblüffen. Doch ich hatte Herzrasen. Meine Hände waren schweißnass und ich hatte das Gefühl, mich übergeben zu müssen. Außerdem konnte ich spüren, wie die Leuchtkugelmannschaft allmählich aus ihrer Schockstarre erwachte und wieder den Kampf gegen mich aufnahm.
    Nicht in Stücke geschnitten , beschwerten sie sich. Nicht in Stücke geschnitten!
    Kümmert euch um euren eigenen Kram , erwiderte ich in Gedanken. Und sorgt dafür, dass das Boot weiterfährt .
    »Sag mal, Sadie?«, fragte Carter. »Warum ist denn dein Gesicht plötzlich so rot?«
    Ich dachte, er wolle mir vorhalten, dass ich errötet war. Doch dann stellte ich fest, dass auch er rot war. Die ganze Barke war in rubinrotes Licht getaucht. Als ich mich umdrehte, um nach vorn zu schauen, erzeugte ich einen Ton in meiner Kehle, der sich nicht großartig von Chnums Blöken unterschied.
    »Oh nein«, stöhnte ich. »Nicht das schon wieder.«
    Ungefähr hundert Meter vor uns öffnete sich der Tunnel in eine große Höhle. Ich erkannte das gewaltige Brodeln des Feuersees wieder; das letzte Mal hatte ich ihn allerdings nicht aus dieser Perspektive gesehen.
    Wir wurden immer schneller und rasten wie auf einer Wasserrutsche ein paar Stromschnellen hinunter. An deren Ende stürzte ein glutroter Wasserfall senkrecht in den See, der fast zwei Kilometer unter uns lag. Ohne die geringste Möglichkeit anzuhalten rasten wir auf den Abgrund zu.
    Sorgt dafür, dass das Boot weiterfährt , flüsterte die Mannschaft entzückt. S orgt dafür, dass das Boot weiterfährt!
    Uns blieb vermutlich weniger als eine Minute, trotzdem kam es uns länger vor. Die Zeit fliegt, wenn man Spaß hat – wenn man dem Tod entgegenrast, schleicht sie.
    »Wir müssen umdrehen!«, rief Carter. »Selbst ohne das Feuer überleben wir den Sturz niemals!«
    Er brüllte die Leuchtkugeln an: »Dreht um! Rudert! SOS !«
    Sie überhörten seine Rufe mit Vergnügen.
    Ich starrte auf den brennenden Wasserfall in die Zerstörung und den Feuersee unter uns. Trotz der Hitzewellen, die uns wie Flammenwerfer überrollten, fror ich. Mir wurde klar, was passieren musste.
    »Wiedergeboren im Feuer«, sprach ich.
    »Was?«, fragte Carter.
    »Es ist eine Zeile aus der Sonnenlitanei. Wir dürfen nicht umkehren. Wir müssen über den Abgrund – mitten in den See hinein.«
    »Hast du sie noch alle? Wir werden verbrennen!«
    Ich riss meine Zaubertasche auf und durchwühlte den Inhalt. »Wir müssen diese Barke durchs Feuer steuern. Das war ein Teil der nächtlichen Wiedergeburt der Sonne, oder? Re hätte es getan.«
    »Re war nicht entzündlich!«
    Der Wasserfall war nun nur noch sieben Meter entfernt. Als ich Tinte in meine Schreiberpalette goss, zitterten meine Hände. Falls ihr noch nie probiert habt, ein Kalligrafie-Set zu benutzen, während ihr auf einem schwankenden Boot steht – es ist nicht einfach.
    »Was tust du da?«, fragte Carter. »Schreibst du dein Testament?«
    Ich holte tief Luft und tauchte meine Schreibbinse in schwarze Tinte. Ich stellte mir die Hieroglyphen vor, die ich brauchte. Wäre doch bloß Zia bei uns gewesen! Nicht nur, weil wir uns in Kairo ziemlich gut verstanden hatten [Ach, jetzt zieh keine Schnute, Carter. Ist ja nicht meine Schuld, dass sie mich als Genie der Familie erkannt hat.], sondern weil Zia Expertin für Feuerhieroglyphen war, und genau die brauchten wir in diesem Moment.
    »Halte mal deine