Die Kane-Chroniken – Der Feuerthron
herauszukommen.
»Sadie …«, warnte Liz.
Babi war auf das Dach eines Body-Shop-Ladens gesprungen. Er grölte, daraufhin tauchten von allen Seiten kleinere Paviane auf – sie kletterten über die Köpfe fliehender Pendler, schwangen sich von den Eisenträgern, sprangen aus Treppenschächten und Läden. Es waren Dutzende, alle trugen schwarz-silberne Basketballtrikots. War Basketball irgendwie die internationale Paviansportart?
Bis zu diesem Tag hatte ich Paviane ziemlich gern gemocht. Diejenigen, die ich bisher getroffen hatte, wie Cheops und seine kontaktfreudigen Kumpels, waren heilige Tiere des Wissensgottes Thot. Sie waren weise und hilfsbereit. Ich hegte den Verdacht, dass es sich bei Babis Paviantruppe vermutlich um ein anderes Kaliber handelte. Sie hatten blutrotes Fell, einen irren Blick und Reißzähne, die einem Säbelzahntiger Minderwertigkeitskomplexe eingeflößt hätten.
Sie kamen immer näher und knurrten, als wollten sie jeden Moment zuschnappen.
Ich nahm einen Klumpen Wachs aus meiner Tasche – keine Zeit, um einen Uschebti zu formen. Zwei Isisknoten, das heilige Zeichen von Isis – ah, die konnten vielleicht hilfreich sein. Weiterhin fand ich noch ein Glasfläschchen mit Korken, das ich schon fast vergessen hatte. Es enthielt trüben Schlamm: mein erster Versuch, einen Zaubertrank herzustellen. Da ich bislang noch keinen Anlass gehabt hatte, ihn auszutesten, lag das Fläschchen seit Ewigkeiten unten in meiner Tasche.
Ich schüttelte den Trank. Die Flüssigkeit, in der Dreckklümpchen herumwirbelten, leuchtete widerlich grün. Ich zog den Korken heraus. Das Zeug stank schlimmer als Nechbet.
»Was ist das?«, fragte Liz.
»Ekelhaft«, antwortete ich. »Schriftrolle mit Animationszauber, vermischt mit Öl, Wasser und ein paar geheimen Zutaten. Ich fürchte, es ist ein bisschen klumpig geraten.«
»Animation?«, fragte Emma. »Willst du Zeichentrickfilme zaubern?«
»Das wäre genial«, sagte ich. »Aber das hier ist noch gefährlicher. Wenn ich es richtig anstelle, kann ich eine große Menge Magie aufnehmen, ohne dass sie mir alle Kraft raubt.«
»Und wenn du es falsch machst?«, erkundigte sich Liz.
Ich reichte jeder von ihnen einen Isisknoten. »Haltet die Amulette fest. Wenn ich Los! rufe, rennt zu den Taxiständen. Bleibt auf keinen Fall stehen.«
»Sadie«, protestierte Emma, »was in aller Welt –?«
Bevor mich noch der Mut verließ, würgte ich den Zaubertrank runter.
Über uns gackerte Nechbet. »Gib auf! Du kommst nicht gegen uns an!« Der Schatten ihrer Schwingen schien sich über die gesamte Halle auszubreiten, was die letzten Pendler zur panischen Flucht veranlasste und mich vor Angst lähmte. Ich wusste, es war bloß ein Zauberspruch, trotzdem war die Versuchung, einen schnellen Tod hinzunehmen, fast überwältigend.
Ein paar Paviane ließen sich vom Essensgeruch ablenken und plünderten den McDonald’s. Ein paar andere jagten den Schaffner und schlugen mit zusammengerollten Modezeitschriften nach ihm.
Leider konzentrierten sich die meisten Paviane nach wie vor auf uns. Sie bildeten einen losen Kreis um den Kiosk. Babi brüllte auf seinem Befehlsstand auf dem Body Shop – es war eindeutig das Zeichen zum Angriff.
In diesem Moment kam der Trank in meinem Magen an. Magie jagte durch meinen Körper. Ich hatte einen Geschmack im Mund, als hätte ich eine tote Kröte geschluckt, doch jetzt verstand ich, warum Zaubertränke in alten Zeiten bei Magiern so beliebt waren.
Der Animationszauber, an dessen Niederschrift ich Tage getüftelt hatte und der normalerweise mindestens eine Stunde brauchte, bis er wirkte, kribbelte bereits in meinem Blut. Kraft schoss in meine Fingerspitzen. Mein einziges Problem war, die Magie zu kanalisieren und darauf zu achten, dass sie mich nicht zu einem Kartoffelchip frittierte.
Ich nutzte Isis, so gut ich konnte, und zapfte ihre Macht an, um dem Zauber Gestalt zu geben. Als ich mir meinen Wunsch vorstellte, fiel mir umgehend das richtige Wort ein: Schütze uns. N’dah . Als ich die Magie freisetzte, brannte vor mir eine goldene Hieroglyphe.
Eine Welle goldenen Lichts wogte durch die Bahnhofshalle. Die Paviantruppe zögerte. Babi stolperte auf dem Body-Shop-Dach. Selbst Nechbet kreischte und zauderte auf den Eisenträgern.
Überall im Bahnhof begannen sich Dinge zu bewegen, die eigentlich leblos waren. Rucksäcke und Aktenkoffer konnten plötzlich fliegen. Zeitungsständer, Kaugummi, Süßigkeiten und verschiedene kalte Getränke
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