Die Kane-Chroniken – Der Feuerthron
dämliche Schriftrolle genommen –«
»Sadie, es braucht dir nicht leidzutun. Ich bin froh, dass du gekommen bist.«
»Aber –«
»Für alles, was passiert, gibt es einen Grund, Sadie, selbst für schlimme Dinge.«
»Das stimmt nicht!«, entgegnete ich. »Das ist verdammt unfair!«
Wie konnte Jaz selbst im Koma so ruhig und freundlich sein? Ich wollte nicht hören, dass schlimme Dinge als Teil irgendeines großartigen Plans passierten. Ich hasste es, wenn Leute so etwas sagten. Ich hatte meine Mutter verloren. Ich hatte meinen Vater verloren. Mein Leben war auf den Kopf gestellt worden und ich war unzählige Male um Haaresbreite gestorben. Jetzt war ich, soweit ich wusste, entweder tot oder kurz davor. Mein Bruder hatte eine Vergiftung und ertrank gerade und ich konnte ihm nicht helfen.
»Nichts ist all das wert«, sagte ich. »Das Leben besteht aus Zufällen. Es ist hart. Es ist – es ist –«
Jaz lächelte noch immer. Sie machte einen belustigten Eindruck.
»Oh«, sagte ich. »Du wolltest, dass ich mich ein bisschen aufrege, stimmt’s?«
»Diese Sadie lieben wir doch alle. Trauer bringt überhaupt nichts. Dir geht es besser, wenn du wütend bist.«
»Hmm.« Vermutlich hatte sie Recht, aber gefallen musste mir das ja trotzdem nicht. »Warum hast du mich denn hierhergebracht?«
»Zwei Dinge«, erwiderte sie. »Erstens, du bist nicht tot. Wenn du aufwachst, bleiben dir ein paar Minuten, um Carter zu heilen. Du musst schnell handeln.«
»Ich muss die Wachsstatue benutzen«, sagte ich. »Schon klar. Aber ich weiß nicht, wie . Vom Heilen habe ich keine Ahnung.«
»Es gibt nur noch eine wichtige Zutat. Du weißt, welche.«
»Nein, weiß ich nicht!«
Jaz zog eine Augenbraue hoch, als wäre ich einfach nur störrisch. »Du bist ganz nah dran, Sadie. Denk an Isis. Denk daran, wie du ihre Kraft in Sankt Petersburg kanalisiert hast. Dann wirst du auf die Antwort kommen.«
»Aber –«
»Wir müssen uns beeilen. Zweitens: Du wirst Walts Hilfe brauchen. Ich weiß, es ist riskant. Ich weiß, dass Bes euch davor gewarnt hat. Aber benutze trotzdem das Amulett, um Walt zurückzurufen. Das ist sein Wunsch. Manche Risiken sind es wert, dass man sie eingeht, selbst wenn es den Verlust eines Lebens bedeutet.«
» Wer verliert das Leben? Er?«
Das Bild des Krankenzimmers begann sich aufzulösen und verwandelte sich in ein verschwommenes Aquarell.
»Denk an Isis«, wiederholte Jaz. »Und, Sadie … wir haben ein Ziel. Das hast du uns beigebracht. Wir haben uns entschieden, an Maat zu glauben. Wir erschaffen Ordnung aus dem Chaos, Schönheit und Sinn aus abstoßender Zufälligkeit. Genau das machte das alte Ägypten aus, nur deshalb hat dieser Name, dieser Ren , Tausende von Jahren überdauert. Verzweifle nicht. Sonst siegt das Chaos.«
Ich erinnerte mich daran, dass ich so etwas in einem unserer Kurse gesagt hatte, allerdings hatte ich schon damals nicht daran geglaubt.
»Ich verrate dir ein Geheimnis«, antwortete ich. »Als Lehrerin bin ich eine Niete.«
Jaz’ Gestalt, all ihre gesammelten Erinnerungen, lösten sich langsam in Nebel auf. »Ich werde dir mal ein Geheimnis verraten«, sagte sie mit immer schwächer werdender Stimme. »Du warst eine tolle Lehrerin. Und jetzt besuch Isis und schau dir an, wie alles begann.«
Das Krankenzimmer löste sich in Dunst auf. Plötzlich befand ich mich auf einer königlichen Barke und trieb den Nil hinunter. Am Himmel brannte die Sonne. Saftig grünes Schlickgras und Palmen säumten die Ufer. Dahinter erstreckte sich bis zum Horizont die Wüste – kahle rote Hügel, die so trocken und abschreckend waren, dass sie ebenso gut auf dem Mars hätten sein können.
Das Boot ähnelte dem, das Carter in seiner Vision von Horus beschrieben hatte, auch wenn es in besserem Zustand war. Ein steifes weißes Segel war mit dem Bild der Sonnenscheibe geschmückt, die rot und golden glitzerte. Kugeln aus mehrfarbigem Licht sausten über das Deck, besetzten die Ruder und zogen an den Tauen. Keine Ahnung, wie sie das ohne Hände anstellten, aber ich sah nicht zum ersten Mal eine magische Mannschaft.
Am Schiffsrumpf befanden sich Einlegearbeiten aus kostbarem Metall – kupferne, silberne und goldene Darstellungen zeigten Bilder von der Reise des Bootes durch die Duat, Hieroglyphen riefen die Macht der Sonne an.
In der Mitte des Bootes schützte ein blau-goldener Baldachin den Thron des Sonnengottes, der ohne Frage der beeindruckendste und unbequemste Sessel war, den ich je
Weitere Kostenlose Bücher