Die Kane-Chroniken – Der Schatten der Schlange
Kraterfeld mit etwas, das wie große schwarze Lotusblüten aussah. Sie wuchsen schnell, öffneten die Blütenblätter und explodierten. Erst als wir näher kamen, erkannte ich, dass es sich um Ballen düsterer Ranken handelte, ähnlich denen, die Sadie bei der Schulparty beschrieben hatte. Immer wenn ein Ballen platzte, spuckte er einen Geist aus, der aus der Oberwelt verschleppt worden war. Diese Geister, die nicht viel mehr als blasse Nebelfetzen waren, suchten verzweifelt nach etwas, woran sie sich festhalten könnten, doch sie wurden schnell auseinandergetrieben und in die Richtung gesogen, in die wir gingen.
Zia sah Setne fragend an. »Und dir kann das nichts anhaben?«
Der Geistmagier drehte sich um, im Gegensatz zu sonst war seine Miene düster. Er war blasser, seine Kleider und sein Schmuck verblichen. »Lasst uns einfach weitergehen, okay? Ich hasse diesen Ort.«
Ich erstarrte. Vor uns erhob sich ein Felsen, den ich wiedererkannte – es war derselbe, den ich in Apophis’ Vision gesehen hatte. Allerdings kauerten sich jetzt keine Geister schutzsuchend darunter.
»Dort war meine Mutter«, sagte ich.
Zia nahm meine Hand. »Vielleicht ist es ein anderer Felsen. Die Landschaft ändert sich unaufhörlich.«
Irgendwie wusste ich, dass es sich um denselben Ort handelte. Vermutlich hatte Apophis ihn nur nicht zerstört, um mich zu verhöhnen.
Setne drehte seine Ringe. »Der Schatten der Schlange ernährt sich von Geistern, Kumpel. Keiner von ihnen überlebt das lange. Falls deine Mutter hier war –«
»Sie ist stark«, sagte ich trotzig. »Eine Magierin wie du. Wenn du in der Lage bist, dagegen anzukommen, hat sie das auch geschafft.«
Setne zögerte. Dann zuckte er die Achseln. »Klar, Kumpel. Wir sind fast da. Gehen wir lieber weiter.«
Kurz darauf hörte ich in der Ferne ein Dröhnen. Der Horizont glühte rot. Wir schienen uns schneller zu bewegen, es war, als hätten wir uns auf ein Laufband gestellt.
Als wir über einen Hügel kamen, erkannte ich unser Ziel.
»Bitte sehr«, sagte Setne. »Das Meer des Chaos.«
Vor uns lag ein Ozean aus Dunst, Feuer oder Wasser – es ließ sich schwer sagen. Gräulich rote Flüssigkeit schäumte, brodelte, qualmte und wogte, genauso wie mein Magen. Das Meer erstreckte sich, so weit mein Auge reichte – und irgendetwas sagte mir, dass es kein Ende hatte.
Sein Rand war weniger ein Strand als ein Wasserfall aus Sand. Fester Boden ergoss sich in das Meer und verschwand. Ein hausgroßer Felsbrocken rollte den Hügel zu unserer Rechten herunter, über den Strand und löste sich dann in der Brandung auf. Ständig flogen Erdbrocken, Bäume, Gebäude und Statuen über unsere Köpfe und in den Ozean und verdampften, sobald sie die Wellen berührten. Selbst die Dämonen waren nicht davor gefeit. Ein paar der Geflügelten streunten über den Strand, merkten zu spät, dass sie zu nahe herangeflogen waren, und verschwanden unter Gekreisch in der wirbelnden Nebelsuppe.
Auch wir wurden angezogen. Statt weiterzugehen, lief ich mittlerweile instinktiv rückwärts, um wenigstens auf der Stelle zu bleiben. Ich fürchtete, dass wir in den Sog geraten würden, falls wir uns weiter näherten.
Eine einzige Sache gab mir Hoffnung. Ein paar Hundert Meter weiter nördlich ragte wie ein Steg ein schmaler Streifen festes Land aus den Wellen heraus. An seinem äußersten Ende erhob sich ein weißer Obelisk, der dem Washington Monument ähnelte. Die Steinspitze leuchtete. Ich hatte das Gefühl, dass der Obelisk uralt war – sogar älter als die Götter. So schön er war, ich musste an Cleopatra’s Needle am Themseufer denken, wo meine Mutter gestorben war.
»Dort dürfen wir nicht hin«, sagte ich.
Setne lachte. »Das Meer des Chaos? Von dort kommen wir alle, Kumpel. Hast du noch nie gehört, wie Ägypten entstand?«
»Es erhob sich aus diesem Meer«, sagte Zia, fast wie in Trance. »Maat tauchte aus dem Chaos auf – das erste Land, Schöpfung aus Zerstörung.«
»Genau«, sagte Setne. »Die zwei großen Mächte des Universums. Und da sind sie.«
»Dieser Obelisk war … das erste Land?«, fragte ich.
»Keine Ahnung«, sagte Setne. »Ich war nicht dabei. Aber es ist ganz eindeutig das Symbol der Maat. Alles andere ist die Macht von Apophis, der jegliche Schöpfung zerkaut, ununterbrochen frisst und zerstört. Was glaubst du denn, welche Macht stärker ist?«
Ich schluckte schwer. »Wo ist Apophis’ Schatten?«
Setne gluckste vor sich hin. »Oh, der ist hier. Aber um ihn
Weitere Kostenlose Bücher